Zudem ist das Ding ziemlich aufgeblasen und ich höre schon das leise Schleifen der Klingen bei den Fan-Editoren. Alles in allem ein unentschlossenes Durcheinander von fast epischen Ausmaßen. Stellenweise hat man den Eindruck, zwei verschiedene Filme zu sehen.
Macht der Film Spaß? Ja. Über weite Strecken seiner doch zu langen 166 Minuten ist es trotzdem ein unterhaltsamer Film. Am Ende hat er - für mich als Tolkien-Geek und Fantasy-Freund . ein dickes Plus. Bevor ich aber in der Besprechung zu spoilern beginne, hier eine Wertung für all die, die einfach nur eine Entscheidungshilfe suchen.
Grundwert: Normaler Popcornkinogänger: 7 /10
Die folgenden persönlichen Modifikatoren sollten berücksichtigt werden:
- Besonderer Hang zu Fantasy: +1 Punkt
- Du findest Jackson-Filme toll und stets zu kurz? +1 Punkt
- Du glaubst, "The Hobbit" sei das Buch zum Film? +1 Punkt
- Kanon-Fetischist: -3 Punkte
- Tolkienhasser: -3 Punkte
- Tolkien-Geek, der weiß, daß ein Film immer was anderes ist: +1 Punkt
(WARNUNG: Wer weiterliest wird massiv verspoilert!)
Licht und Schatten
Bezeichnend für Peter Jackson's An Unexpected Journey ist vielleicht, daß die jeweils stärkste und die schwächste Sequenz des Films dicht miteinander verwoben sind.
"Riddles in the Dark", die Schlüsselszene des gesamten Buche im Hinblick auf den Herrn der Ringe, ist der stärkste Teil des Films. Zunächst wird sauber gezeigt, wie Gollum den Ring verliert, der ihn ja verlassen will und zurück in die Welt nach 400 Jahren, jetzt, da sich Sauron als Geisterbeschwörer regt, und wie Bilbo ihn findet. Die List des Ringes wirkt jetzt weniger zufällig, fast schon sinister planvoll.
Das Rätselspiel selbst ist die einzige Sequenz des Filmes, in der sich Jackson richtig auf die Charaktere einläßt. Gollum und Bilbo liefern sich ein schizoides Kammerspiel, das sehr düster-komisch in der Dunkelheit verläuft. Dissoziative Personen sind selten so schrecklich extrem wie Gollum, aber sie haben auch selten 400 Jahre Zeit in einsamer Dunkelheit, so zu werden. Das Rätselspiel hat mich tief beeindruckt und hallt auch jetzt noch nach.
Goblinstadt (die "Under Hill"-Sequenz), d.h. die Gefangenschaft der Zwerge und ihr Entkommen, ist hingegen ein Effekt-Gewitter, eine wilde Jagd durch Goblin-Toontown, das ebenso atemberaubend wie künstlich wirkt. Gandalf rettet den Tag mit einem Zauberspruch, den er schon vorher ein- oder zweimal hätte anwenden können, aber was solls. Der groteske Goblinkönig (The Great Goblin) ist eine Mischung aus Jabba the Hutt und Pete Griffin aus Family Guy, inkl. einem keckernden Sidekick in der Art von Salacious Crumb, der als Bote dient. Konsequenterweise erhält der Große Goblin seine Stimme von Dame Edna, und Jackson erdreistet sich, ihn mit dem dümmsten Einzeiler (eher Einworter) seines Schaffens abtreten zu lassen. Sah auf dem Papier bestimmt komisch aus. Höhö. Soooooooo not.
Die ganze Sequenz ist so überdreht und grell, daß, wäre da nicht ein großzügiger Anteil von abgehackten Körperteilen, sie eher in einen Disney-Film paßte. Die erste Begegnung von Simba und Nala mit den Hyänen auf dem Elefantenfriedhof kommt spontan in den Sinn. Vieles erinnert auch an die Lorenjagd durch die Mine in Indiana Jones and the Temple of Doom.
Jackson schielt hier aber gleichzeitig immer wieder nach seiner unvergessenen Flucht der Ringgemeinschaft vor Orks und Balrog in Moria, repliziert sogar einzelne Einstellungen, aber es klappt nicht. Es fehlen die Größe des Untergangs und die Schönheit von Moria, die echte Gefahr, die im Tode Gandalfs gipfelt, und eine Vorbereitung wie das Gemetzel an Balins Grab nach Pips Brunnenzwischenfall. Es gibt kein richtiges Set-Up und Pay-Off, es wird nur gerannt, geschrien und gemetzelt.
Es ist ein Kindergeburtstag auf Crystal Meth.
Mehr Humor
Der Film nimmt die ersten sechs Kapitel des Buches und bebildert sie sehr werkgetreu. Das ist eine zweischneidiges Schwert, es funktioniert in Einzelszenen prächtig ("Eine unerwartete Gesellschaft", die Trolle), legt aber auch den fundamentalen Lapsus dieser Kapitel bloß: Es ist weitgehend eine Reihung von Zufallsbegegnungen. Auch der Anfang ist - wenn auch vergnüglich anzusehen - dadurch zu lang.
Die Macher rücken diesem Problem damit zu Leibe, daß sie die größeren Zusammenhänge einbauen (der Fall von Erebor, der Weiße Rat, Radagast, der Schrecken vom Düsterwald) und den Zwergen von Anfang einen Gegner geben, der ihnen auf den Fersen ist. Clever, aber nicht in aller Konsequenz durchgesetzt. Der Film ist an einigen Stellen immer noch eine langatmige Nummernrevue. Den größten WTF-Moment hatte ich bei den kloppenden Felsriesen. Keine Ahnung mehr, ob das im Buch war (lange nicht gelesen), aber selbst wenn, hätte man es kürzen müssen.
Die Troll-Sequenz ist wirklich komisch (und streicht das schwächste Element, die sprechende Trollgeldbörse), die Zwergenklischees (z.B. ihre Reaktion auf "grünes" Elbenessen) ebenso. Schön auch das Aufeinandertreffen zweier Philosophien - Kiffen (Gandalf) und Shrooooms (Radagast). Ihr Boß, Saruman, ist Asket und verabscheut beides. Selbst wer die Bücher nicht kennt, weiß jetzt, daß er zum Bösen neigen muß.
Mit Radagast haben die Macher überhaupt eine großartige Figur erschaffen (und ein wenig Tom Bombadil hineingemischt) - ein verwirrter, echter Bad Ass auf einem von Karnickel gezogenen Schlitten. Ja, es ist albern, es ist unkanonisch - und cool. Hier klappt der leicht überdrehte Witz (wie anders sollte man Warge erfolgreich ablenken als mit eisenharten Kaninchen auf Speed?), wie überhaupt der ganze Film den Bierernst der HdR-Filme vermissen läßt und sich im Ton eher leichtherzig der Vorlage nähert (was dann in Goblinstadt, s.o., allerdings gründlich danebengeht).
Jackson hat auch nicht verlernt, Größe zu inszenieren und den Mythos Mittelerdes, wie er ihn sieht, einzufangen. Der Konflikt zwischen Elben und Zwergen wird in seiner Entwicklung gezeigt, komplett mit den "historischen" Fakten und einigen atemberaubenden Einstellungen der Pracht und des Falls des Königreiches von Erebor. Wunderbar auch die Nuancierungen zwischen den "richtigen" Hochelben vom Schlage Elronds und Galadriels und den Silvan-Elben, den etwas primitiveren Waldelben König Thranduils, die bereits einen kurzen Auftritt haben.
Gute Darsteller - zum größten Teil
Ian McKellan nagelt die Rolle Gandalfs einmal mehr präzise auf den Punkt. Im Deutschen stört die neue Stimme (Eckart Dux?) auch nach zwei Sätzen nicht mehr (der alte Synchronsprecher Joachim Höppner ist 2006 gestorben).
Herausragend Martin "Watson" Freeman als Bilbo. Ich mag Bilbo im Buch nicht (zuviel Bildungsroman), aber Freemann macht ihn zu einem liebenswerten, etwas bequemen Jedermann, der im Kern, wie wir alle, davon träumt, Heldentaten zu vollbringen, auch wenn er es sich nicht eingesteht. Bereits im ersten Film, kann er seine unentdeckten Fähigkeiten und seinen wahren Kern andeuten. Sein Zusammenspiel mit Serkis in "Riddles in the Dark" ist perfekt.
Die Figur Thorins ist vom Buch sehr schön als tragischer, stolzer Kriegerkönig im Exil angelegt, aber die Besetzung (Richard Armitage) schrumpft ihn fast ausschließlich auf zartschmelzende Blicke für die Langnese-Magnum-Zielgruppe. Selbst Pummelelfe Haldir aus den HdR-Filmen wirkte mehr Bad Ass, und Sam Gamdschie könnte mit dieser Schrebergartenvariante Aragorns den Fußboden wischen. Hier schielt man definitiv auf den Teil des Publikums, der auf solche Projektionsflächen steht. Zwergenslashfic wird die nächsten Monate einschlägige Foren überschwemmen.
Wenigstens glitzert er nicht.
Sylvester McCoys Radagast ist ein liebenswerter Sonderling mit eisernen Eiern. Weaving, Lee und Blanchett liefern großartige Cameos in Bruchtal, ansonsten sind die Figuren vernachlässigbar. Die Zwerge sind so eindimensional wie im Buch und weitgehend nur durch Barttracht unterscheidbar. Ja, Bombur frißt, Fili und Kili sind jung, aber richtige Charaktere sind es eben nicht. Aber niemand stört, und das ist ja schon etwas.
Sehr gespannt bin ich auf die Sprecharbeit von Benedict Cumberbatch als Smaug, hoffentlich schon im nächsten Teil. (Ach ja BBC: Macht mal hin mit der nächsten Staffel Sherlock Holmes!)
Sinnesrausch
Die Bilder sind teilweise bis an die Ränder vollgestellt, Action über den ganzen Frame, Vistas wie Bruchtal. Der Film, seine teils enthemmten, tiefengreifenden Kamerafahrten, etliche der Tracking Shots, das alles ist zu etwa 70% für 3D inszeniert und bietet visuelles Spektakel. Dummerweise krieg ich von den Brillen Kopfschmerzen und hab ihn in 2D gesehen. Da wird er unübersichtlich und stellenweise sehr unscharf aufgrund konstanter Bewegung.
Über Jacksons kontroverse neue 48-fps-Technologie wurde von kenntnisreicheren Leuten bereits geschrieben (im Stern unter dem Titel "So kalt wie ein toter Fisch" (kein Link wg. LSR) und in Variety). Ich werde ihn mir wohl doch noch in 3D angucken, zumal ich ja noch die Originalversion sehen möchte. Bisher hatte ich halt nur den Eindruck, exzellente Kameraarbeit zu sehen.
Die Sets haben nichts an der Großartigkeit eingebüßt, das Auenland ist liebenswert, die Wildnis grimm, manchmal an C. D. Friedrich gemahnend, Bruchtal ist ein Ort des Sehnens und Erebor entfaltet Pracht. Die Goblinstadt war eine Impression von Toontown aus Who Framed Roger Rabbit, und das Städtchen am Fuße des Erebor hatte ein bißchen viel Mittelaltermarkt für meinen Geschmack.
Die Musik, nun, Howard Shore versteht sein Handwerk und sein Score ist wie immer beeindruckend. Vertraute Themen kehren wieder (Shire, Rivendell), das neue Leitmotiv, eine dunkel rumpelnde Blechvariante des ikonographischen Zwergenlieds "Misty Mountain" ist mitreißend. Aber wenn Jackson und Shore die Wahl haben zwischen "etwas leiser und unterstützend" gegenüber "vollem Bombast und manipulierend", dann wählen sie das letzere. Es ist wieder (wie schon ab The Two Towers) zuviel und zu massiv.
Irgendwie ist alles in diesem Film zuviel, und dann doch nicht genug für diese lange Spielzeit.
Kanon (muß auch sein)
Kanonisch betten Jackson und sein Team die Schlichtheit der Geschichte in den größeren Kontext des Kosmos von Mittelerde. Die Motive, die im posthum veröffentlichten "Quest of Erebor" und in den entsprechenden Passagen des Silmarillion den Hobbit mit dem Herrn der Ringe verknüpfen, werden sorgfältig eingewoben. Daraus entstehen die atemberaubenden Sequenzen von Macht und Untergang Erebors und der Schlacht vor den Toren Morias, die dem Film das epische Rückgrat geben.
Für den Hardcore-Fan gibt es Insider-Witze wie Gandalfs Bemerkung, er habe die Namen der Blauen Istari vergessen. Er kann dann seiner Freundin "Alatar" und "Palando" zuflüstern. Vielleicht ist die beeindruckt. Oder verängstigt. Man kann auf sowas auch mit der Unwissenheit eines Lucas Wiegelmann reagieren. Der schreibt in seiner Rezension, Tolkien habe die Blauen Istari nie benannt, und deshalb sei das lustig. Höhö. Nö. Lustig ist, daß der Lucas bei der WELT Filmrezensionen schreiben darf.
Bei dieser Kanontreue sind - wie schon im Herrn der Ringe - Abweichungen vollkommen unverständlich, die keinerlei dramaturgische Bedeutung haben. So versucht Jackson der originalen Nummernrevue der Gefahren bis zum Einsamen Berg einen überspannenden Bogen zu geben, indem er Thorins Gesellschaft von Beginn an einen alten Erzfeind der Zwerge auf die Spur setzt, der sie jagt. Das ist prinzipiell eine gute Idee, scheiß auf den Kanon.
Aber: Azog, der beeindruckende Albino-Ork-Oberboss, ist zu dem Zeitpunkt schon tot, enthauptet von Daìn Eisenfuß in der Schlacht von Azanulbizar. Warum Jackson ihn wiederbelebt, anstatt seinen Sohn Bolg, der zu diesem Zeitpunkt Herrscher der Orks von Moria war, auf die Zwerge zu hetzen, bleibt sein Geheimnis.
Insgesamt verharrt Jackson fast sklavisch bei den ersten sechs Kapiteln des Kleinen Hobbits und ergänzt mit kanonischer Strenge, von der er nur ausnahmsweise abweicht.
Fazit
Unausgegoren, uneinheitlich findet der Film nie seine richtige Balance zwischen bebilderter Wiedergabe eines Kinderbuchs und epischer Reimagination eines Abenteuers inmitten der großen Ereignisse, die entscheidend sind für diesen fiktionalen Kosmos. Thorin enttäuscht ein bißchen, der restliche Leading Cast ist sehr, sehr gut, allen voran Martin Freeman. Die Bildfülle ist überbordend und manchmal zuviel, nicht selten latscht die ganze Kreativabteilung in die Falle ihrer eigenen Möglichkeiten und liefert bis zum Anschlag, wo weniger mehr gewesen wäre. Nirgends zeigt sich das besser als im Kontrast zwischen dem zurückhaltenden "Riddles in the Dark" (dem besten Teil) und dem comichaft überbordenden "Under Hill" (dem schlechtesten).
War bei HdR deutlich spürbar, daß sie kürzen mußten um die Vorlage in 12 Stunden zu erzählen, ist es hier eher umgekehrt. Der Film wirkt gelängt, "like butter spread over too much bread". Die Nahtstellen zwischen direkter Vorlage und erweiterndem Hintergrund klaffen, und ich bin mir ziemlich sicher, daß das im Laufe der Trilogie nicht besser werden wird (hoffe aber, wie immer). Zwei Filme mit zusammen sieben bis siebeneinhalb Stunden wären im Endeffekt vielleicht doch mehr gewesen als Drei Filme mit neun oder zehn Stunden, wie es jetzt der Fall ist. Zwanzig bis Vierzig Minuten kürzer hätte An Unexpected Journey doch sein dürfen.
Trotz allem eine schöne Rückkehr in das Mittelerde, das Jackson sich aus Tolkiens Epochenwerk zusammengestellt hat. Natürlich sieht mein "Kleiner Hobbit im Kopf" ganz anders aus als dieser Film, wobei Jacksons Bilbo gerne den meinen ersetzen darf. Mein Thorin ist aber um Klassen besser als seiner.
2 Kommentare:
Bitte, bitte keine eMails mehr; ja ich hatte "Elfen" statt "Elben" geschrieben; ja ich fühle mich schmutzig. Ich hab die alte D&D-Angewohnheit korrigiert.
Ernsthaft Danke für die Hinweise. :)
Ach ja, und für solche Anmerkungen bitte die Kommentarspalte nutzen, nicht meine eMail. Danke.
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