Die beste Inspiration fürs Entwickeln von Texten und/oder Modulen ist das Leben. Nichts ist besser als Ausgangspunkt für die Phantasie als ein großes WTF mit einem Fragezeichen. Daher guck ich so gerne Dokus: Sie bieten einen sauberen Faktencheck, und darauf kann man aufsetzen, solange man nicht die Narrative der Filmer übernimmt. Schön offen bleiben, Fakten nehmen, Rückschlüsse ignorieren.
Prima Material, um visuelle Handouts zusammenzuschneiden, hat man dann noch dazu.
Nehmen wir die BBC-Doku Madness in the Fast Lane. Zunächst dachte ich, es sei ein Hoax, denn es wirkte teils wie für die Kamera gemacht, aber es ist keiner. Es war wirklich nur zufällig eine BBC-Crew mit den Streifenhörnchen auf Patrouille.
Darum gehts: Ein schwedisches Zwillingspaar wirft sich wiederholt auf den Fahrstreifen der Autobahn, eine wird von einem 40-Tonner überrollt (!), sie überleben. DIe Polizei kassiert sie ein, läßt die eine ein paar Stunden später (vollkommen gesund, obwohl sie die Front eines PKW zerschmettert hat) laufen, und die bringt schließlich eine Zufallsbekanntschaft um. Ein grazil-verstörender Tanz voll Paranoia und offener Fragen. (Vorsicht: drastische Bilder).
Sie fragen, Paranoia antwortet
Jetzt lassen wir alle Erklärungen über Folie à deux etc. beiseite und blicken auf die Ungereimtheiten und Unheimlichkeiten des Falles von Ursula und Sabina Eriksson. Da gibt es einige Fragen zu klären.
Das erste: Wenn man die spektakulären Aufnahmen und Handlungen bedenkt, gab es de facto fast gar kein Medienecho. Ein Problembär in Bayern kriegt mehr Aufmerksamkeit als dieser Fall 2008 in GB erregte. Neben den beiden Beiträgen von BBC (der Traffic Cop-Show und dem oben verlinkten Beitrag) gibt es anscheinend keine längeren Filmbeiträge, und auch Nachrichtenmeldungen in Zeitungen etc. sind sehr dünn gesät. Außerhalb von Verschwörungsboards und True-Crime-Seiten finden sie eigentlich auch im Web nicht statt. Wieso? Wer hat dafür gesorgt, daß ein so spektakulärer, perfekt für die Medien geeigneter Fall faktisch "beerdigt" wurde?
Dann: Über die beiden Frauen ist nichts bekannt. Wirklich gar nichts. Die Doku läßt diesen Aspekt auch vollkommen außen vor, und das verstößt gegen das Einmaleins der Reportage, die Hintergrundermittlung. Angesichts der unverpixelten Bilder kann das kaum legale Gründe haben, und wenn, hätte man das mit unspezifischen Angaben umgehen können. Welches Verhältnis hatten die Zwillinge? Waren sie zusammen aufgewachsen? Warum hat ein BBC-Team (ausgerechnet!) eine so oberflächliche Doku zusammengeschustert? Was hat es mit den ominösen Aussagen des Bruders auf sich, sie seien auf die Autobahn gesprungen, um einem "Gang rape"zu entkommen? Die Überwachungsbilder zeigen keine anderen Personen.(1)
Schließlich noch eine absolut verstörende Kleinigkeit zum Schluß: Waren es nicht nur Zwillinge, sondern Drillinge? Ein Bekannter sandte mir ein Bild mit dem Vermerk "There is a certain likeness in the features." Brite, mit typischem Understatement. Es war das Bild einer finnischen Frau im selben Alter, mit demselben Aussehen, die aufgrund paranoider Schübe aus der lokalen Big Brother-Variante flog. Hier ist Sabina Eriksson und hier Irina Brilin.
So, jetzt das Unterbewußtsein arbeiten lassen, und in zwei Tagen kann man eine prima X-Akte damit leiten oder den Verschwörungsthriller schlechthin schreiben.
Deutscher Nachtisch
Denunzianten-Ede hatte auch das ein oder andere Unfaßbare im trocken-spießigen Fernsehstil der Bonner Republik versendet. Den Yogtze-Fall beispielsweise (Teil 1, Teil 2): Lebensmittelchemiker fühlt sich bedroht, verschwindet in der Nacht und taucht einige Stunden später tot und nackt auf dem Beifahrersitz seines Wagens an einer Autobahn auf. Zuvor hatte er noch cthulhoid YOG'TZE auf ein Papier gekritzelt und war panisch bei einer religösen Nachbarin aufgetaucht. Auch nicht schlecht: Der Bodenseemord (Teil 1, Teil 2).
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(1) Übrigens mal wieder typisch Wikipedia. Der verlinkte schwedische Artikel dient als "Beleg" im Wikiartikel für folgende Behauptung: Ursula and Sabina Eriksson, identical twin sisters, grew up in Sunne, Värmland, in western Sweden with their older brother. Their living conditions were apparently very poor. Das ist Unsinn, über den Hintergrund wird im Artikel nur angegeben, der Mann sei ihr Bruder, die Zwillinge stammten aus Westschweden. Das sagt nichts über die Kindheit aus.
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