Generalmajor Gadi Eisenkot |
Hierzulande kriegen wir ja über Israel so gut wie gar nichts mit, da herrscht ein medialer Blackout ohnegleichen (dazu später noch ein paar Takte). Gelegentlich Bilder von Terroranschlägen und ein paar Eindrücke, wenn dort die (der?) Knesset, also das Parlament gewählt wird.
Ansonsten: Finsternis.
Jetzt hat sich in den letzten Tagen in Israel etwas entwickelt, was bei einem so wichtigen Land normalerweise zu längeren Berichten in den Hauptnachrichten führen müßte: Die Armeeführung der israelischen Streitkräfte IDF und die rechtsaußen / protofaschistische Regierung von Benjamin Netanjahu ("Bibi") liegen in einem massiven Streit, der nach einigen Beobachtern in einem Putsch enden könnte.
Der vorläufige Höhepunkt: Am heutigen Freitagmorgen ist der Verteidigungsminister zurückgetreten, aus professionellen, vor allem aber "moralischen Differenzen mit dem Premierminister" und dem Kabinett.
Ich kämpfte mit aller Macht gegen Erscheinungsformen von Extremismus, Gewalt und Rassismus in der israelischen Gesellschaft, die ihre Stabilität gefährden und auch in die IDF sickern.(...) Ich kämpfte mit aller Macht gegen Versuche, das Verfassungsgericht und israelische Richter zu schädigen, Trends, die als Ergebnis die Herrschaft des Gesetzes schädigen können und katastrophal für unser Land wären.Er spricht davon, die "Extremisten" hätten "das Land übernommen".
Zuvor hatte sich der Minister hinter seine Generäle gestellt und ihnen erlaubt, ihre Meinung zu äußern. Dies erreichte eine erste Spannungsspitze, als am Holocaust Gedenktag (4. Mai) der stellvertretende Generalstabschef Yair Golan in einer öffentlichen Rede scharf mit den Zuständen ins Gericht ging.
Wenn es etwas gibt, was mich am Holocaust Gedenktag fürchten läßt, dann ist es die Betrachtung der abscheulichen Vorgänge, die sich in Europa und besonders in Deutschland damals - vor 70, 80 und 90 Jahren - ereigneten, und das Erkennen, daß sich Anzeichen davon bei uns finden lassen, im Jahre 2016.Die Armeeführung ist stark beunruhigt über die Reaktion der Öffentlichkeit auf den Mord in Hebron im Frühjahr, als ein Soldat vor laufender Kamera einen wehrlosen palästinensischen Gefangenen erschoss. Während die IDF-Kommandeure versuchen zu ergründen, wieso ihre Soldaten so handeln und eine Mordanklage vorbereiten, wird der Soldat von weiten Teilen der Bevölkerung quasi als "Held" gefeiert, nur so könne man mit Palästinensern umgehen.
Die korrekte Haltung des Kommandos in dieser Frage rief auch den Zorn hochrangiger Regierungsmitglieder infolge hervor. Mit Rückendeckung des Ministers indes hat Generalstabschef Eisenkot seit Amtsübernahme am 16. Februar d.J. den Chefrabbiner der Armee entlassen und begonnen, die Befugnisse der Armeerabbiner zu beschneiden, die einen ähnlich unheilvollen Einfluß in moralischer und taktischer Hinsicht auszuüben scheinen, wie weiland die Politkommissare in der Roten Armee. Auch eine neue Einsatzdoktrin wird ausgearbeitet, die Zivilisten schützen soll.
Das konnte und kann den Rechten in "Bibis" Kabinett nicht schmecken. So kochte der Konflikt hoch und gipfelte zunächst in der heutigen Demission des Verteidigungsministers. Putschgerüchte schwirren und die linksliberale Zeitung Haaretz rief die Armeeführung bereits vor einigen Tagen offen zum Putsch auf.
Wenn die Regierung Werte annimmt und kultiviert, die die Armeeführung als Bedrohung für die Existenz des Landes ansieht, und wenn die Öffentlichkeit, die die Soldaten der Armee stellt, verlangt, die IDF müsse sich korrumpieren und verrohen, dann steht die Armeeführung vor einem Dilemma. Sie muß entscheiden, was die größte Bedrohung für die Existenz des Landes darstellt: Sind es tausende Raketen und palästinensische Messerstecher, oder ist eine Regierung, die die Öffentlichkeit in ein Monster formt, das Israels grundlegende demokratische Werte zu verschlingen droht.Und in den deutschen Medien? Alles ruhig. Ich halt mal ein Auge drauf.
Update 16:50: Während ich den Artikel geschrieben habe, hat auch die Tagesschau eine Meldung veröffentlicht (hier), heute schweigt noch, ebenso SPON und WELT.
Update 5:01 am 21. Mai: Bei uns (und im ORF) immer noch keine Infos, während der ehemalige israelische Premierminister und Verteidigungsminister Barak die Regierung Netanjahu offen als "Faschisten" bezeichnet. Da heiligt einer aber den Sabbath nicht.
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