Freitag, 16. März 2018

Salisbury, Porton Down, Novichok und verdammt viel mehr Tote als du ahntest

Visualisierung der derzeitigen
westlichen Diplomatie
Das sind wieder so Tage. Ich sitz' hier mit einem Bier und versuche zu verstehen, an welchem Punkt bei uns die Presse gleichgeschaltet wurde, und ob wir wirklich Bock haben, mit einer Bundeswehr in diesem Zustand gen Osten ziehen zu wollen. Unsere künftigen Offiziere machen bei -9 Celsius schlapp. Damit kommt man allenfalls bis knapp hinter Warschau.Unsere U-Boote tauchen nicht, unsere Gewehre schießen nicht bei Sonnenschein, Panzer und Flieger stehen dumm rum...

Also ich will keinen Krieg. Und unter diesen Bedingungen schon gar nicht.

Scheint die Medien aber nicht zu stören. Gniffkes Tagesschau und alle anderen hetzen im Gleichschritt und übernehmen die Sprachregelungen von Theresa May (Ausnahmen gibt es natürlich, aber das sind Blätter im Wind). Die Merkel ist dabei, wen wunderts, und Macron macht sowieso alles, was ältere Frauen ihm sagen.


Selbst Polen bleibt dem Narrenschiff fern
"Gewalt und Betrug sind die zwei Haupttugenden im Kriege." (Thomas Hobbes)
Was auffällt: Nicht mal Polen hat dieses spezifische Narrenschiff betreten. Und viel russenfressender als Polen unter der PIS-Regierung kann man eigentlich nicht werden. Auch Israel ist nicht an Bord; die finden die Attacke zwar nicht so dolle, werfen aber Russland nix vor.

Das deutsche Volk ist ebenfalls nicht begeistert von dem was da geschieht. Nach einer repräsentativen Umfrage vom Donnerstag (mehr als 80.000 Teilnehmer) sind weit über die Hälfte (55 %) für eine Verbesserung der Beziehungen zu Russland, weitere 17 % wollen zumindest keine Verschlechterung. Aber Frau Kanzlerin, die nach eigenen Angaben nicht weiß, wie sie sich bessern könnte,, setzt sich auch darüber hinweg, was mit dem Weggang des Rumpels Gabriel natürlich noch viel leichter fällt.

Beim Faktenfinder der ARD finde ich nichts zu den Fake News (dazu gleich mehr) aus London. Schade, dachte, das sei deren Aufgabe. Aber bei der Tagesschau gibt es ein Dossier zum Fall. Die Dossiers sind übrigens immer halbwegs ausgewogen, nur leider gewinnt man immer den Eindruck, daß die Nachrichtenreadaktion selbst die gar nicht liest.
Womit begründet London seinen Vorwurf an Moskau?
Das Attentat ist mit einem extrem gefährlichen Kampfstoff verübt worden, der zur Gruppe der Nowitschok-Nervengifte gehört. Sie wurden in der früheren Sowjetunion produziert. Premierministerin Theresa May sagte im Parlament, dass es für sie nur zwei mögliche Erklärungen gibt: Entweder hat Moskau das Attentat verübt, oder es hat die Kontrolle über die gefährliche Substanz verloren.
Interessanterweise kommt die zweite Variante "Kontrollverlust" in der Berichterstattung sonst eigentlich nicht vor. Die ganze "Beweiskette" läuft auf folgendes hinaus:

sowjetisches Gift = russischer Täter = PUUUUTIIINNNN.

Viel mehr Beweise als das gibt es derzeit wirklich nicht.


Im geistigen Ödland
"Mord rufen und des Krieges Hund' entfesseln." (William Shakespeare, Julius Cäsar)
Hust. Wer das in dieser Form einfach schluckt, ist schwachsinnig. Das kann sein. Wäre aber als Beweis nur gültig, wenn wasserdicht wäre, daß die Russen und die Russen allein das Zeug haben. Und das ist nicht der Fall.
  • Geforscht und hergestellt wurde das Zeug zwar in der UdSSR, aber in Uzbekistan, nicht in Mütterchen Russland. Nach dem Zerfall der UdSSR haben dann die Amis die Labors aufgeräumt.
  • Einer der Erfinder (eigentlich mutmaßlichen Erfinder), Wil Mirsajanov, ist 1994 in die USA emigriert. Selbstverständlich haben die US-Behörden ihn niiiie nach seinem Know-how gefragt. 
  • Und drittens haben die Briten selbst das Zeug. Haben sie zugegeben. Wann? Denk mal nach. WIE SONST KÖNNTEN SIE BEHAUPTEN ES SEI NOVICHOK?!

Safespace-Kitten. Für das Folgende
benötigt man es vielleicht
Um einen unbekannten Stoff einem bekannten Stoff zuzuordnen, mußt du schon wissen, wie der bekannte Stoff so aussieht. Du brauchst Gasspektrometeranalysen und das ganze Brimborium. Jetzt klar?

Exkurs nach Porton Down
"Nichts ist schrecklich, was notwendig ist." (Euripides)
Der einzige Ort in England, der das Know-How dazu haben könnte, wäre Porton Down. Glücklicherweise liegt Porton Down keinen Steinwurf weit von Salisbury, dem Ort des Verbrechens, entfernt. Das war doch mal praktisch, und man konnte rasch erst den Schutzanzug und dann die helfende Hand anlegen.

Was Porton Down ist?

Porton Down ist die einzige Chemie- und Biowaffenanlage Englands.

Porton Down ist der Ort, wo Wissenschaftler die ganzen Menschenversuche durchgeführt haben. Das Zitat von Euripides könnte locker ihr Motto sein.
Thornhills Berichte über die qualvollen letzten Stunden von Maddisons Leben werfen ein Licht auf die schmutzige Geschichte dieser geheimen Einrichtung und die schockierenden Experimente, die an Freiwilligen [die nicht wußten, wofür Sie sich freiwillig hergaben - d. Übers.] durchgeführt wurden. Hunderte sind vermutlich vorzeitig gestorben oder haben Krankheiten wie Krebs, motorische Störungen oder Morbus Parkinson entwickelt.
Oh. Ruhig weiterlesen. Das ist kein Verschwörungsblog, sondern eine Reportage des Guardian. Jedenfalls wurde die Einrichtung 1916 gegründet, um an Chemie- und Biowaffen zu forschen, nachdem die Deutschen damit an der Westfront einen echten Hit gelandet hatten. Wir haben zehntausende von denen in Flandern vergast, die dann wiederum zehntausende von uns. Hurra auf das Menschengeschlecht! Wir sind schon zum Kotzen.

Heute forscht man dort natürlich nur zur Abwehr von möglichen Angriffen. Immerhin ist England Mitglied der Chemiewaffenkonvention, und da darf man nur an Abwehrmitteln forschen. Natürlich auch an Abwehrmitteln gegen "zukünftige Gefahren". Die muß man natürlich erst einmal entwickeln präzise vorhersagen, dann kann man eine Abwehr finden. Gleichzeitig hat man 'nen neuen Kampfstoff. Schicker Trick.

In Porton Down jedenfalls wurden nach dem letzten Krieg dann mehr als 3000 "Freiwillige" rekrutiert, um Kampfstoffe zu testen. Die Arglosen glaubten, man forsche nach einem Schnupfenmittel. Die Wirklichkeit sah anders aus.
"Ich habe vorher niemals jemanden sterben sehen, und was der Bursche durchmachte war einfach grauenhaft... es war abscheulich," sagt er. "Es war als ob man ihn mit Stromschlägen verbrennen würde, der ganze Körper zuckte. Ich habe jemanden einen epileptischen Anfall erleiden sehen, aber Sie haben niemals etwas gesehen wie das, was dem Jungen geschah... die Haut vibirierte, und da war all dieses gräßliche Zeug, das aus seinem Mund kam... es sah aus wie Froschlaich oder Maniokstärke."
Thornhill erinnert sich an einige Wissenschaftler, die um Maddison herumstanden. "Man konnte die Panik in ihren Augen sehen - ein Kerl sah aus, als versuche er sein Frühstück unten zu halten. Vier von uns waren es, die ihn (Maddison) vom Boden aufhaben und nach hinten in unseren Krankenwagen legten. Er hatte immer noch diese Zuckungen und Krämpfe und wir fuhren ihn zur medizinischen Einheit in Porton.
Als er die Einheit erreichte, war sie von anderen Unfällen freigeräumt und in Männer in weißen Kitteln standen um ein Bett."
"Ich sah sein Bein vom Bett hochkommen, und ich sah, daß seine Haut sich blau zu färben begann. Es begann am Knöchel und zog sich über das Bein hoch. Es war, als beobachte man jemanden eine blaue Flüssigkeit in ein Glas gießen, und das Glas beginnt gerade, sich zu füllen. Ich stand am Bett mit offenem Maul. Es war, als beobachte man etwas aus dem Weltraum, und dann zog einer der Ärzte die größte Nadel hervor, die ich jemals gesehen hatte. Sie hatte die Größe einer Fahrradpumpe und wurde dem Burschen in den Leib gestoßen. Die Schwester sah mich nach Luft schnappen und befahl mir, hinauszugehen."
Wenn man, welch aparte Formulierung, "3000 Männer in die Gaskammer schickt" und sie Nervengas aussetzt, tja, da passiert dann halt auch mal ein Uppsala. Aber die ganze Sache wurde dann rasch unter Kontrolle gebracht.
"Ich wurde in ein Büro bestellt, wo mir ein Stabsarzt was über Notstandsgesetze erzählte. Ich mußte etwas unterschreiben und er sagte mir, daß ich, sollte ich jemals ein Wort über das, was ich in Porton Down gesehen habe, verlieren, in Gefängnis kommen würde. Ich hatte Angst und wollte nicht ins Gefängnis und so erzählte ich keinem der anderen Burschen, was ich gesehen hatte." 
Der ganze Artikel findet sich im Original hier. Warum ich das nochmal aufwärme? Nur um klar zu machen, daß unsere Institutionen genauso menschenverachtend an der eigenen Bevölkerung experimentiert haben wie die Russen. Und wer glaubt, die Skrupellosigkeit solcher Institutionen sei heute verschwunden, ist naiv. Einige staatliche oder private Institutionen und Einzelpersonen sind im Namen einer guten Sache, der Wissenschaft, einer Ideologie oder auch um des Profits willen zu allem fähig.

Cui Bono?
"Cui Bono" ist das Arschgeweih der Verschwörungstheorien. (?)
Nö. Ich hab mich nicht bemüht rauszufinden, wer das gesagt hat. Diese Lautreihung - "Satz" wäre zuviel Ehre - strotzt von einer intellektuellen Tristesse, die gar nicht erst ihresgleichen sucht. Die Ergründung der Motivlage einer (kriminellen) Handlung, Grundlage jeder richterlichen, polizeilichen, journalistischen oder historischen Recherche soll hier ins Lächerliche gezogen werden.

Cui Bono - wem nutzt es - ist eine Frage, die man immer stellen sollte, wenn man sich sowas wie die Affäre Skripal anschaut. Also. Mal ganz beiläufig: Wem nutzt es denn nun?

  • Vladimir "die Russenpeitsche" Putin? Mmmh. Auf die Frage, was denn der Kreml bittschön davon haben sollte, konnte schon die Moskau-Korrespondentin des ORF nicht richtig zielführend antworten. Putin ist in einigen Monaten Gastgeber des größten Spektakels der Welt, steht kurz vor seiner Wiederwahl und hat sein und das Ansehen Russlands in der Welt wieder verbessert. Genau das ist nun der Zeitpunkt einen abgehalfterten Verräter, der nicht mehr schaden kann, auf eine so amateuerhaft-spektakuläre Weise umzulegen? Uns wurde immer gesagt, Putin sei schlau und verschlagen wie ein Giftstoff. Das hier wäre.... dumm
  • Donald "Cofveve" Trump? Hey, nur weil ein Mann sein Toupet in einer Packung Frühstücksflocken gefunden hat, heißt das noch lange nicht, daß ich ihn nicht verdächtigen darf. Trump indes ist angetreten mit dem erklärten Ziel, die Verbindungen zu Putin zu verbessern. Bisher hat er alle Ziele, die er angekündigt hat, zumindest versucht zu erreichen, egal wie bescheuert sie sind. Nur bei Putin wird ihm andauernd quer geschossen, mit der albernen Russia-Collusion-Untersuchung über russische Twittertrolle. Jetzt hat er das gerade mit ein paar eher augenzwinkernden Sanktionen gegen russische Inlandsgeheimdienste halbwegs wieder im Griff, da passiert das. Eher nicht.
  • The Ominous Deep State (ODS)? Man mag die Existenz eines ODS bestreiten, Tatsache ist, daß Trumps befürchteter Schmusekurs zu Putin von Anfang seitens der Opposition, Teilen seiner eigenen Partei und auch einiger Institutionen schwer unter Beschuß stand und daher (bisher) nicht zustande kam. Das Attentat jetzt, da Trump sich in dieser Hinsicht etwas frei geschwommen hat, kommt da ganz zeitig.
  • Theresa "Greyface" May? Mmh. Vor dem Anschlag hatten sich ihre Sympathiewerte solide zwischen Autounfall und nässendem Hautausschlag eingependelt. Ihre eigenen Minister schlichen durch die Korridore von Westminster, den Dolch zum Königsmord bereit in der Toga, und die EU lachte über Brexitverhandlungen. Jetzt? Jetzt genießt sie Bäder in der Menge in Salisbury und ihre Minister, ja sogar die EU stellen sich eifrig hinter sie. Schick. 
Natürlich war es keiner von denen. Nicht, daß ich derlei nicht jedem Einzelnen zutrauen würde, aber die ganze Angelegenheit ist so offenkundig bescheuert, daß das spätestens auf der mittleren Leitungsebene gestoppt würde. Nö.

Alles was wir momentan medial serviert bekommen - sei es die Narrative in unseren Medien, seien es entgegengesetzte Verdächtigungen - sind nichts anderes als Verschwörungstheorien. Sie versuchen einem zufälligen Muster einen Sinn zu verleihen.

High Fives in Porton Down
"Alles hat einen Grund aber nichts einen Sinn." (Sprichwort)
Meiner Ansicht nach war das - falls es nicht eine unbekannte Partei im Hintergrund gibt, die wie SPECTRE die Welt ins Chaos stürzen will - Zufall. Ich erwähnte, daß Porton Down um die Ecke liegt? Es gab halt wieder ein Uppsala. Nicht das erste, beileibe nicht. Und da war das Teufelszeug halt frei.

Die Verantwortlichen beschlossen zunächst einmal gar nichts zu sagen und abzuwarten, wie sich die Sache entwickelt. Das fiel dann pronto in die allgemeine Propagandaschlacht gegen Putin und kochte hoch. High Fives und billiger Sekt in Porton Down. Wir sind vom Haken und Putin hats am Hacken.

Ein Putinbild muß rein, sonst kriege
ich meinen Scheck aus dem Kreml nicht-
Ja. Bis auf diese kleine Sache.

Was nicht ganz prominent in den Medien dargestellt wird: England verstößt jetzt seit Tagen gegen die Chemiewaffenkonvention. Und sie werden das mMn auch weiter tun, ungeachtet ihrer Ankündigungen.

Warum? Es halt ein seltenes Ereignis, und da kann man Details schon mal übersehen. Wenn du einen Anschlag mit Kampfstoffen vermutest, kannst du als Staat die Sache unter dem Deckel halten. Deine Angelegenheit. Wenn du aber mit den Füßen scharrst und mit dem Finger auf andere zeigst, dann hast du Proben bei der Organisation für das Verbot chemischer Waffen abzuliefern. Die versuchen dann herauszufinden, was und woher das kommt, und haben eigentlich auch das Know-How.

Blöde, wenn das Zeug dann aus den eigenen Labors kommt. Hätte man das nur gewußt, bevor man mit dem ganzen Bohai begann. Jetzt ist es erst einmal zu spät.

Aber Moment mal! Ein Unfall trifft ausgerechnet einen russischen Emigranten mit schattiger Vergangenheit? Das ist aber ein großer Zufall... Nunja. Erstens ist der Zufall so groß nicht. In England kann man an einigen Orten keinen Stein werfen, ohne einen russischen Emigranten mit schattiger Vergangenheit zu gefährden. Zweitens: Zufälle gibt es halt.

Sonst hätten die ganzen Verschwörungstheoretiker ja recht.

Bullshit-Index: 0.12

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