Freitag, 16. Oktober 2020

Werkstattbericht: Spell-Slots oder "D&D kennt 3W20", und ich tue Buße

Wer die Geschichte von DSA kennt, der kennt auch die Debatten um die 3W20, die immer wieder geführt werden. Für viele gehören sie zu DSA wie der Name auf der Tür, auf alle Fälle sind sie eines der Merkmale, die DSA haben muß. Ohne 3W20 ist es kein DSA. Immer wieder erstaunlich, und eigentlich auch schön (wenn die Diskussionkultur gewahrt bleibt) ist das Herzblut in solchen Debatten. Eine kleine Randnotiz: Für mich war 3W20 der Punkt, an dem DSA aufhörte, konkurrenzfähig zu sein. Aber das ist natürlich eine reine Geschmackssache.

Und auch B/X bzw. BEAM D&D kennt seine 3W20. Das fängt an mit auf- oder absteigender RK oder mit Rasse = Klasse. Ich kannte einen, der hat den ETW0 bei AD&D2 als Ketzerei abgelehnt ("Des sin so neumodisch Ferz!") und die Angriffsmatrizen von AD&D nach 2E übertragen (das er nur spielte, weil die deutschen Übersetzungen von AD&D so grauenhaft waren). Rollenspiel ist wohl immer auch ein Teil irrationale Glaubenssache, sehe ich an mir selbst nun wirklich oft genug (Hallo, Savage Worlds Adventure Edition).

Ganz sicher ist bei D&D aber Schluß mit lustig, wenn man an die Spell-Slots geht. Das ist Wesenskern des Systems. Ohne "Vancian Magic" (die allenfalls schlecht verstandene "Vancian Magic" ist) kann ein System kein D&D sein.

Ja. Ich denke, meine Entscheidung bei Hic Sunt Dracones von Spell-Slots auf Saftpunkte zu gehen, bringt mir nicht viele Freunde, daher möchte ich zumindest erläutern, warum ich derart frevle (und daß es selbstverständlich auch eine Bußleistung gibt).

Statistik

Zunächst einmal: Mechanisch gibt es da eigentlich nur das eine Argument (oft gehört), Spell Slots zäunten die Zauberkundigen in höheren Leveln ein. Hab ich auch mal geglaubt, aber wer auf Companion-Level spielt weiß, daß er sich da nur selbst belügt. Interessant wäre natürlich herauszufinden, warum das so ist.

Das ist der relative Machtzuwachs des Zauberkundigen bei BEAM D&D von Stufe 1 bis 30. Wir sehen da zwei gewaltige Werte: Einen Anstieg von 800% über die ersten 5 Stufen), und einen über fast 350% zwischen den Stufen 5 und 10. Und das sind nur die Zaubergrade, die gestiegene Qualität der verfügbaren Zauber wird damit nur unzureichend abgebildet - ein Feuerball (Grad 3) hat mehr Wumms als 3 x Magisches Geschoß (Grad 1). Aber das sei hier egal.

Einschub: Ich hatte einen Fehler in den Zahlen, der ist korrigiert. Aber der Graph stimmt jetzt nicht mehr ganz.

Warum aber sind dort diese gigantischen Anstiege? Nun, während der ersten fünf Stufen ist eine so massive Steigerung (Output 1 Grad gegen Output 9 Grade) notwendig, um ihn überlebensfähig und nützlich für die Gruppe zu halten. Das ist nachvollziehbar. 

Aber der zweite Riesensprung auf Stufe 10 dann nicht mehr. Der setzt den ZAK über alle anderen Klassen, und wenn danach sein Machtzuwachs sich auch beruhigt, ist der Zuwachs bis ca. Stufe 20 immer noch überdurchschnittlich im Vergleich zu den anderen Klassen. Der eigentlich Schaden ist da eh schon passiert. In Stufe 10 ist der ZAK Apex, und der Abstand vergrößert sich mit jeder Stufe. Ich bin mir ziemlich sicher, daß seit den alten Tagen von OD&D (falls überhaupt jemals) kein Designer bei TSR die Tabellen durchgerechnet und in Relation zu den anderen Klassen gesetzt hat.

Mit anderen Worten: Spell-Slots sind die Ursache für, nicht das Mittel gegen quadrierte Zauberer.

Saftpunkte und ein Vergleich

Ja. Für mich (und meine damaligen Gruppen) waren Spell-Slots seit je eher Hindernisse als fundamentaler Bestandteil des Systems. Du bist Kleriker, dein Freund muß sterben weil Du kein Heilen leichter Wunden mehr hast. Aber noch ein Purify Food and Water und ein Remove Fear, also stirbt er satt und ohne Furcht. Das hat an unserem Verständnis von Kleriker-Spruch = Gebet, also an unserer Vorstellung von Fantasy-Göttern sehr genagt. Massiver Immersionsbruch, auch wenn wirs nicht so genannt haben. Wir gaben früh die Hausregel aus, daß der Kleriker zwar Spell-Slots verwendet, aber sich bei seiner Auswahl nicht festlegen muß, und jederzeit einen Slot gegen einen niedrigeren Slot tauschen darf.

Aaaaaaanyway. Ich mag Slots nicht und dann erwies sich bei näherem Hinsehen das Slot-System in seiner vorliegenden Form auch noch als Ursache für broken Magic-Users. Ja. Da war es dann für mich sinnvoll, auf ein Punktsystem umzusteigen. Bevor ich dafür aber die Bußleistung erbringe, schauen wir uns mal an, wie sich denn Zauberkundige aus BEAM-D&D und Hic Sunt Dracones im reinen Output unterscheiden.



Da sich HSD-Machtpunkte prima auf D&D-Zaubergrade umrechnen lassen, können wir den Output an Graden vergleichen, den ein Zauberkundiger erreichen kann, bis er "leer" ist. Wie gesagt: Die Qualität der Zauber ist hier außen vor, aber das gilt für beide Systeme und kann vernachlässigt werden.

Ein D&D-Zauber kann auf Stufe 20 beispielsweise 132 Grade heraushauen, sein Pendant in HSD gerade mal 25. Was für ein Weichei, gelle? Nein. Zunächst einmal ist das ein Durchschnitt. Da Machtpunkte fast so zufällig wie TP bestimmt werden (damit ist das Punktsystem übrigens katechetisch zumindest mehr Old School als Spell Slots ;)), und Spells variable Kosten aufweisen (1W4+Grad), ist die Schwankungsbreite recht hoch. Und zum anderen muß der Zauberer seine Zauber nicht vorher festlegen - er hat jederzeit Zugriff auf sein volles Repertoire.

Schwächer ja, aber weitaus flexibler und in der Lage sich vor allem in unerwarteten Situationen sinnvoll einzubringen. Eine Grognardin, die in Testgruppe 3 einen Zauberkundigen Stufe 18 spielt, hat in einer harten Inkarnation des Erdzerstörer-Moduls festgestellt, wie nützlich das sein kann und mag das System seitdem. Die anderen Tester, allesamt nicht cD&D-vorbelastet, haben sowieso keine Probleme damit.

In HSD verlangt ein Zauberkundiger einen kreativen und intelligenten Spieler. Und meine herzlichen Dank an Corvin, dessen großartige Interpretation des Zauberers Tamerlyn den richtigen Weg wies.

Ich tue Buße

Wie gesagt, mir war klar, daß ich mit der Wegnahme des Spell-Slot-Systems ein Kleinkind in einen Piranha-Teich werfe. Deswegen war von Anfang geplant, da ein wenig die Wogen zu glätten (gibt es einen Preis für eine besonders schiefe Metaphernfolge?). Zwar ist das Punkt-System default in Hic Sunt Dracones, aber ich werde im Magiehandbuch für alle Magierklassen alternativ das Spell-Slot-System anbieten. Deswegen ist das auch ein Werkstattbericht, denn ich versuche gerade, Mentzers broken Tabellen zu fixen.

Insgesamt lieg ich im Zeitplan.






6 Kommentare:

Zornhau hat gesagt…

Wozu "Buße" wegen eines Spruchpunktesystems für ein D&D-artiges Rollenspiel?

Die ältesten Hausregeln, die für D&D aufkamen, waren solche, die die Tödlichkeit senken sollten, also so etwas wie negative Hitpoints, oder Konstitution als "echte" Verletzungspunkte, Hitpoints als "Ausdauer" usw.

Die zweitältesten Hausregeln drehten sich schon darum von dem unbefriedigenden festen (NICHT wirklich) Vancian Spell-Slot-System wegzukommen. Da waren Spruchpunkte schon lange ein Mittel der Wahl. Ich weiß gar nicht, wieviele unterschiedliche Spruchpunkte-Systeme mir in den zurückliegenden Jahrzehnten so untergekommen sind. Auf jeden Fall ist das ein völlig naheliegender Ansatz, den viele verwendet und noch mehr in anderen, von D&D abgeleiteten Systemen modifiziert eingebaut haben (wozu auch DSA mit den Astralpunkten oder Midgard mit den Ausdauerpunkten für das Zaubern gehören).

TheShadow hat gesagt…

Hmmmh. Ich stimme Deinem Kommentar eigentlich in allem zu. Vielleicht hätte ich statt "Buße" eher den Begriff "Friedenspfeife anbieten" wählen sollen, ist schon wahr. Mir geht es einfach nur darum, jeden mitzunehmen, der Interesse hat. Und ich weiß, daß es einige gibt, die Spell-Slots fast wütend verteidigen, interessanterweise oft Spieler, die relativ spät in Kontakt mit altem D&D kamen. Was du beschreibst, ist uns Rollo-Neolithikern klar, anderen eben nicht. Und denen will ich halt eine ausgestreckte Hand reichen, ohne Arg und ohne Spott.

ghoul hat gesagt…

Ich nehme diese Friedenspfeife gerne an! :-)

Rorschachhamster hat gesagt…

Also, die zweite Kurve gibt auch den Machtzuwachs bei D&D besser wieder - wegen des exponentiellen Wachstums der Zaubereffekte, Finger des Todes und so...
Was mir gut gefällt, persönlich, und ich gerade eine der Stärken des Vancianischen Systems erachte, auch und gerade als alter Sack - die Kämpfer heben den Magier ja erst in die Situation, so machtvoll zu werden. Ich habe auch schon Punktesysteme gespielt, und ein Kampfzauber, immer wieder, ist oft sehr versuchend, wodurch man den Kämpfer erst recht in den Schatten stellt. Dagegen die taktischen Überlegungen welche Zauber man "lädt", sehr cool. Jedem das seine. :)

TheShadow hat gesagt…

Darf ich Dich im Magierhandbuch bei den optionalen Regeln zitieren? Das paßt perfekt.

Rorschachhamster hat gesagt…

Oh, na klar, sorry, hab das erst jetzt gesehen. :)

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