Freitag, 4. September 2015

Red vs. Blue II

Dies ist der zweite Teil der Besprechung der Splittermond-Einsteiger-Box. Der erste Teil findet sich hier.

Runde 3 - Charaktererschaffung

Hier ist ein direkter Vergleich natürlich nicht möglich. Das einfache D&D-Red erlaubt den Charakterbau selbst für blutigste Anfänger in ca. 15 Minuten. Roll 3d6 in order, such Dir Deine Klasse aus, notiere Dir allfällige Spezialfertigkeiten, ggf. auch Zaubersprüche und kauf Dir Ausrüstung.

Das kann das Blaue nicht leisten, das soll das Blaue nicht leisten. Es ist ein komplexeres, moderneres System. Trotzdem ist es für eine Einsteigerbox existentiell, den Prozeß überschaubar zu halten.

Die Erschaffungsregeln kommen in einem eigenen Heft von 30 Seiten daher. Sie erfolgt in sieben Schritten und ist weitgehend paketorientiert. Nur an zwei Stellen sind freie Punktevergaben möglich. Gegenüber dem "Vollspiel" fällt auf, daß der Prozeß verkürzt wurde. Es fallen vor allem die Schritte raus, die mich stören, namentlich "Herkunft" und "Ressourcen". Sehr gut.

Ganz ohne Verweise auf das eigentliche Regelbuch der Box kommt das Büchlein nicht aus. Die Paketbauweise hingegen ist auch für Anfänger geeignet. Die Auswahl an Kulturen, Rassen und Ausbildungen erlaubt eine hinreichend differenzierte Charakterwahl.

Die Erschaffungsregeln sind für ein so komplexes Regelwerk recht überschaubar und flott. Aber kein Anfänger wird einen tauglichen Charakter bauen können, ohne zumindest mal in das Spiel reingeschnuppert zu haben. Hier liegt Splittermond hinter D&D, dessen systemimmanenter Kompetenzschutz "Fehlbauten" fast vollständig verhindern kann. Die Paketbauweise versucht das zwar auch, aber die freien Punktverteilungen bei Attributen und Fertigkeiten können zu argen Problemen führen.

Splittermond gleicht dieses Manko jedoch aus, in dem es schön gestaltete Charaktere zum direkten Losspielen in die Box gepackt hat.

Die Runde gewinnt keiner, beide erhalten je einen Punkt, weil sie ihre Aufgabe innerhalb ihrer unterschiedlichen Rahmenbedingungen optimal lösen.

Blau 2 vs. Rot 2



Runde 4 - Betreutes Spielleiten

Herzstück einer Anfängerbox ist - neben der grundlegenden Erklärung von Rollenspiel - das Einsteigerabenteuer. Es dient dazu, den prospektiven Spielleiter an die Hand zu nehmen und ihn in sein Metier einzuführen.

Gleich vorneweg: Nach meinen Erfahrungen mit Krähenwasser hat mich "Unter Fels begraben" sehr, sehr positiv überrascht. Informationslisten statt Textwüsten, keine ins Barock bordende Prosa und eine hilfreiche Textgestaltung.

"Unter Fels begraben" ist "Brot und Butter" - eine Rettungsexpedition in eine verschüttete Silbermine. Es ist ein nettes, kleines Abenteuer, im Fokus genau so weit, wie eine Horde RSP-Anfänger sein muß.

Es folgt der "Gleich-Losspielen-Philosophie". Alle relevanten Regeln sind als blaue Boxen mitgegeben, Vorlesetexte und spezielle Informationen sind auch vom Fließtext deutlich abgesetzt. Trotzdem scheinen die Macher ihrem Ansatz nicht ganz zu trauen und erwähnen sehr deutlich, wie hilfreich es für den SL sein kann, sich vorher mit den Regeln und dem Abenteuer vertraut zu machen.

Ich kann die Zweifel verstehen. Die Annahme, als Anfänger ohne Vorbereitung spielen zu können, ist eine Illusion, und mir ist der Beweggrund für eine solche Behauptung nicht klar (auch wenn ich mal anderer Meinung war und dafür Gründe hatte. Die waren aber doof.). Sie kann nur zu einem stockenden, fehlerhaften Erlebnis führen, mit vielen Lesepausen des SL (es ist doch eine Menge Info) und Regeldiskussionen.

Kurzum - das ist nicht der erste Eindruck, den ich Spielern vermitteln möchte.

Abgesehen davon sind die Regelboxen hilfreich - und wieder nicht. Bei den "Proben" wird ausführlich erklärt, wie es funktioniert. Sehr gut. (Übrigens verwendet Splittermond hier binäre Ergebnisse ohne Erfolgsgrad, eine vernünftige Vereinfachung.) Auch wird erklärt, wie Triumphe und Patzer zustand kommen - ohne jedoch deren Auswirkungen zu benennen. Und das Blättern im Regelbuch beginnt.

Das nächste Blättern beginnt dann spätestens bei der Magie. Splittermond verwendet hier ein unnötig komplexes System von Verbrauchspunkten, "kanalisierten" Punkten und Erschöpfung. Nein, die Text-Box hilft nicht, mir bleibt vieles unklar, und ich habe schon die eine oder andere RSP-Erfahrung hinter mir.

Notizen am Rande. Im Flyer wird gesagt, in der Schachtel befänden sich 2W10, auf S. 4 von "Kettenrasseln" heißt es dann plötzlich 4W10. Die tatsächlich beigelegten 3W10 sind dann wohl ein Kompromiß, allerdings ein blöder, denn für die Risikoprobe benötigt man 4W10.

Auch wird in den SL-Hinweisen beiläufig den SC jede Plotimmunität abgesprochen; wie der Würfel fällt, so fällt Dein Held. Bravo!

Trotz aller Hilfestellungen in Text und Lay-Out, kommt mir die Anleitung für den SL eher dürftig vor. So werden für den finalen Encounter keine taktischen Vorgaben gegeben und es wird wenig darauf eingegangen, wie er sein Material präsentieren soll. Kann sein, daß ich im Buch mit den SL-Tipps noch mehr finde, aber das sollte ich ja noch nicht lesen.

Wenn der SL sich die Mühe macht, vorher durch die Box zu stöbern, ist "Unter Fels begraben" ein ideales, spannendes kleines Abenteuer, das die erste Begegnung mit dem Konzept Rollenspiel gelungen ausfüllen kann mit genug offenen Fragen nach einem Nachfolger.

Solo-Abenteuer haben ihr Prinzip letztlich dem "Programmierten Unterricht" entnommen, einer Lehrmethode. Mentzer verwendet in der Red Box genau diese Lehrmethode auch, um den Spielleiter durch das Leiten der ersten Begegnungen zu führen, mit Aaskriechern (aaaaaaah) und Kobolden (schmutzige kleine Viecher). Die Reaktionen der Spieler auf die Situationen werden so gut wie möglich antizipiert und auch erwähnt, daß sie ganz anders vorgehen können und der SL dann reagieren muß.

Nach diesen programmierten Begegnungen folgt der Rest des kurzen, namenlosen Moduls im freien Standardformat der B-Reihe, durchbrochen von grauen Boxen mit Hinweisen für den angehenden DM. Es ist ein Dungeoncrawler und damit entspricht er genau dem limitierten Konzept der Roten Box, deren Konzepte hier aufgegriffen und vertiefend vermittelt werden. 

Als Abenteuer gefällt mir "Unter Fels begraben" deutlich besser. Nette Geschichte, nette NSC und einige schöne Herausforderungen. Aber als Lehrabenteuer ist Mentzers namenloses Modul überlegen. Ich kann gar nicht genug betonen, wie sehr mir der programmierte Auftakt, der mich vor über 30 Jahren bei meiner ersten Spielleitung an die Hand faßte und auf einen langen, gewundenen Weg bis hierher schickte, die Nervosität und Unsicherheit nahm, die man an diesem Punkt empfindet. Einige RSP-Hipster hätten wahrscheinlich die Nase über so ein Vorgehen gerümpft, aber die zählen sowieso nicht.

Besseres Abenteuer, Blue Box, aber der Punkt geht doch an den Konkurrenten für die Erfüllung des Lehrauftrags. (Aber abgesehen davon gehört "Unter Fels begraben" eindeutig zu den besseren Einsteigerabenteuern.)

Blue 2 vs. Red 3

Runde 5 - Die Regeln

Ooooh. Blau wankt, wankt unter einem harten Schlag, aber die kleine blaue Box ist ein Nehmer, meine Damen und Herren. Sie hat sich als zäh und über weite Strecken als gleichwertig erwiesen und holt nun ein letztes Mal aus. Regelorganisation. Ein tiefer Schlag, aber nicht gegen die Regeln (höhö).

Jo. Das war der Punkt, bei dem ich schon im Vorfeld ziemlich sicher war, daß die Splittermondbox gewinnen würde. Die vollkommen auf Unterrichten ausgelegte Form der beiden Rex Box Bücher macht sie zu einem lausigen Nachschlagewerk. Ein Teil der Regeln ist in den Charakterbeschreibungen festgehalten (Zauberer, Kleriker, Diebe), ein Teil findet sich nach der Charaktererschaffung. Ein weiterer Teil befindet sich vor dem Modul und danach finden sich nochmal zwei Dutzend alphabetisch sortierte "Spielsituationen", eine Mischung aus Regeln und SL-Tipps.

Es ist ein Graus, und daß das überhaupt funktioniert, ist allein dem überschaubaren Korpus zu verdanken. Fünf weitere Hefte in drei Boxen haben die Situation dann nicht verbessert. Auch wenn ich die D&D-Regeln als System klar bevorzuge, so war in dieser Hinsicht Red Box schon immer ein Reinfall.

Mit dreißig Jahren Design-Geschichte anderer Systeme im Rücken kann Splittermond natürlich  auftrumpfen. Der Regelband umfaßt 60 Seiten und präsentiert sich übersichtlich. 60 Seiten A5 sind natürlich eine andere Feldpostnummer als 200 Seiten im Mutter-GRW, und so wurde einiges eingedampft.

Die Charaktere sind auf zwei Heldengrade beschränkt (statt vier), die Kampffertigkeiten auf drei (statt sieben) und die Fertigkeiten ebenso auf 20 (statt... öh.... zuviele). Auch die Zahl der Zauber ist überschaubar, aber weitgehend nützlich. Anderes ist weggefallen, teilweise schon angesprochen. Charaktere haben keine Schwächen, keine Herkunft, keine Ressourcen, die Erfolgsproben verzichten auf Erfolgsgrade - alles sinnvolle Straffungen.

Die Beschreibungen gerade bei den Fertigkeiten sind natürlich knapper, und das gefällt mir gut, auch wenn es dem Platzmangel geschuldet ist. Ich bin gegen Überregelung bei der Anwendungsauslegung. Hier sollen alle Beteiligten noch Luft zum Atmen und freien Entscheiden haben.

Das Regelbüchlein umfaßt Grundlagen (Proben würfeln), Fertigkeiten, Kampf und Zauberei. Hier zeigt sich übrigens etwas Interessantes - die Tickleiste ist komplex, nicht jedermanns Sache (meine schon) aber letztlich als Regelelement funktional. Die Zauberei hingegen erscheint mir auch nach mehrmaligem Studium unnötig kompliziert.  Am Regelteil sind diese Fokuskosten für Zauber eigentlich das einzige, was mich richtig stört.

Insgesamt: Insgesamt hat die deutliche Straffung in meinen Augen die Klarheit des Regelkerns von Splittermond für mich herausgearbeitet. Hier wird kein Rad erfunden, es gibt keine abgefahrenen Gimmicks, das ist eine grundsolide laufende Mittelklasse-Engine. Und für Anfänger gibt es nichts besseres als solche Systeme.

Wie gesagt - ein Punkt für Blau in dieser Runde. Um für Mentzer wenigstens ein Unentschieden zu erreichen, hätten sie das wirklich gründlich in den Sand setzen müssen.

Blau 3 vs Rot 3

Und der Kampf ist aus meine Damen und Herren. Beide Kombattanten stehen noch und schütteln sich erschöpft die Hände. Da sehe ich viel Respekt, während die Ringrichter nun eine hitzige Debatte führen, wer denn eigentlich gewonnen hat.

Jo. Bevor wir uns die Entscheidung der Ringrichter anhören, gibt es morgen einen ausführlichen Blick auf die weiteren Abenteuer der Box, das Zubehör und vor allem natürlich das Weltenheftchen. Wir schaun auch mal kurz, wie sich Splittermond gegen die Pathfinder-Box stellt.

In diesem Sinne: To be continued. (Hier gehts zu Teil 3.)

(Und was mir gerade auffällt - der Schwanengesang von DSA 4.1 ist "Splitterdämmerung" betitelt. Irgendwie komisch....) 

3 Kommentare:

lars_alexander hat gesagt…

Coole Reihe. Einsteigerboxen sind eine gute Sache. Meist wegen der Schachtel. ;) Die vereinfachten Splittermondregeln sprechen mich auch eher an. Vielleicht werfe ich mal nen Blick in die Schachtel.

Waylander hat gesagt…

Ein spannender Fight. Ich hab die kleine blaue Box auch schon Zuhause stehen.
Ich muss sagen sie hält sich überraschenderweise gut gegen den übermächtigen zeitlosen Klassiker in Rot.

Fadenweber hat gesagt…

*reicht der blauen Box einen neuen Mundschutz und klopft ihr auf die Schulter* - "Weiter so, meine Große!".
Toller Fight, ein Kampf gegen eine Legende! Bin sehr gespannt auf den Spruch der Ringrichter. :)

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