Freitag, 31. Mai 2013

Sieben Tage im Mai


Zwischen März 1977 und Februar 1979 tagte im Kongreß der USA eine Untersuchungskommission, die mehr als 45 Rechercheure und Spezialisten beschäftigte, das „House Select Committee on Assassinations“. Im Juli 1979, nach Tausenden von Seiten von Akten (mehr als 400.000) und der Anhörung von mehr als 300 Zeugen kam das Komitee zu folgendem Schluß:
"Das Komitee glaubt aufgrund der ihm zu Verfügung stehenden Beweise, daß Präsident John Fitzgerald Kennedy wahrscheinlich als Ergebnis einer Verschwörung ermordet wurde."
Darüberhinaus hatte der Untersuchungsausschuß auch festgestellt, daß man Lee Harvey Oswald NICHT als einen der Täter hat überführen können. Robert Groden, der phototechnische Berater des Ausschusses konnte anhand des Zapruder-Films der Ermordung nachweisen, daß mindestens neun Schüsse abgefeuert wurden, von mindestens drei verschiedenen Standorten. Der Ausschuß wollte zwar weitermachen und sich auch den Fällen Robert Kennedy und Martin Luther King widmen sowie die Hintermänner aller Attentate aufdecken, aber...

Ihnen wurde der Geldhahn zugedreht.

Die Akten indes sind für jeden Bürger einsehbar, in der JFK-Collection der National Archives and Record Administration in Washington; insgesamt 3,1 Millionen Seiten. Es fehlen noch 880.000 Seiten des FBI und 80 Aktenkartons und 72 Filmrollen des CIA, die bis 2017 freigegeben werden sollen.

Das mal als Realitätscheck, wenn zum fünfzigsten Jahrestag der Ermordung von John F. Kennedy wieder die knoppisierten "Geschichtsdokumentationen" über die Sender flimmern, in denen man vorgibt, die Wahrheit zu suchen, und in denen dann doch wieder jeder, der am "Lone Gunman" Oswald zweifelt, als Verschwörungsspinner belächelt wird (bzw. in den USA die History Channel Gülle).

Ich werde bis zum Herbst, also zum Jahrestag im November immer mal wieder das eine oder andere Faktum zum Fall etwas näher beleuchten oder interessante Geschichten berichten.

Heute stelle ich den Film Seven Days in May von John Frankenheimer (u.a. Regisseur von The Manchurian Candidate) vor. Darin geht es um eine Verschwörung hochrangiger US-Militärs, die den Präsidenten stürzen soll, weil er eine Abrüstungsvereinbarung mit der Sowjetunion anstrebt. Die Militärdiktatur soll dann das Wettrüsten wieder aufnehmen.

Der Film ist bis in die Nebenrollen ebenso gut besetzt wie gespielt (Burt Lancaster, Kirk Douglas, Ava Gardner, Martin Balsam), und Rod Serling (Planet der Affen) hat ein grundsolides Drehbuch verfaßt. Der erste Akt ist straffes, fast lakonisches Plotting, der zweite Akt zieht sich leider deutlich, während Akt drei schließlich filmisch und atmosphärisch sehr dicht kulminiert. Die Inszenierung ist natürlich für heutige Augen etwas altbacken (auch wenn der Spiegel das damals "reißerisch" nannte), die S/W-Bilder komponieren gelegentlich sehr schöne noir-Reminszenzen, und die Gestaltung des Finales als mediales Spektakel weiß zu überzeugen. Der Score (Jerry Goldsmith) ist sparsam, aber effektvoll.

Interessant ist die Geschichte des Films. Er entstand nach dem gleichnamigen Roman von Fletcher Knebel. Präsident Kennedy hatte das Buch 1962 gelesen, und als er erfuhr, daß Kirk Douglas, der mit seiner Firma auch als Produzent fungierte, die Verfilmung plante, ermutigte er ihn.

Eine Stimme neben mir sagte: "Beabsichtigen Sie, Seven Days in May zu verfilmen?"
Ich drehte mich um. Präsident Kennedy! "Ja, Mr. President."
"Gut." Er verbrachte die nächsten zwanzig Minuten, während unser Dinner kalt wurde, damit, mir zu erzählen, daß er dachte, es würde einen exzellenten Film ergeben. (Quelle)
Die Hilfe war durchaus auch praktischer Natur. Als erste Filmcrew erhielt die Produktion Zugang zum Weißen Haus, während das Pentagon hingegen sich vollkommen verweigerte. Der Präsident flog mit seiner Familie schließlich sogar in Urlaub, um ungestört den Dreh von Protesten vorm Weißen Haus zu ermöglichen, ohne den Secret Service in Hysterie zu treiben. Während der gesamten Produktion hielt Kennedys Pressesprecher Pierre Salinger Kontakt zum Team. Kennedy hielt den Film für "wichtig".

Er sollte ihn nicht sehen.

Die Premiere war für Dezember 1963 vorgesehen, wenige Tage nach Kennedys Ermordung. Ein solcher Film hätte als Funke ins Pulverfaß fallen können, denn in jenen Tagen war laut Gallup die Mehrheit der US-Bürger davon überzeugt, daß mehr hinter dem Attentat steckte als ein "verwirrter Einzeltäter". Präsident Eisenhowers Warnung vor der Schattenmacht des militär-industriellen Komplexes war noch in den Köpfen der Menschen.

Spätestens mit seiner Friedensrede am 10. Juni 1963 war der Konflikt zwischen Präsident Kennedy und den Pentagon-Falken offenkundig geworden, der seit dem Schweinebuchtdesaster schwelte. Daß Kennedy sich nach den Aussagen sowohl von Verteidigungsminister McNamarra (in der Doku The Fog of War) als auch Vizepräsident Johnson (eine Aufnahme aus der selben Doku) aus Vietnam zurückziehen wollte, hat die Situation sicher weiter eskalieren lassen.

Ein Bild begann sich in der öffentlichen Meinung abzuzeichnen. Selbst hochrangige Militärs waren mißtrauisch. Das ehemalige Mitglied der Joint Chief of Staffs, des US-Generalstabs, Fletscher Prouty, schreibt in seinem Buch JFK: The CIA, Vietnam, and the Plot to Assassinate John F. Kennedy (2005), es habe sich bei dem Attentat um einen "Staatsstreich" gehandelt.

Vor diesem Hintergrund war Sieben Tage im Mai natürlich Sprengstoff, und die Premiere wurde auf Mitte Februar 1964 verschoben, nachdem der Schock und das Trauma etwas zurückgetreten waren. Andere Ereignisse begannen die Nation zu beschäftigen, die zudem dem Irrtum aufsaß, eine honorige Kommission kümmere sich um Aufarbeitung des Attentats. Der Kalte Krieg begann wieder Fahrt aufzunehmen, in Europa und in Vietnam, wo es im Süden zu einem Putsch kam. Präsident Johnson erklärte seine Entschlossenheit, den Kommunismus in Vietnam einzudämmen (er war als Vize mit Kennedys Haltung nicht einverstanden gewesen) und lenkte die Innenpolitik wieder in den Fokus mit seinem "Krieg gegen die Armut".

Sieben Tage im Mai erhielt mehrere Nominierungen (u.a. zwei Oscarnominierungen), positive Kritiken und ein gutes Einspielergebnis international. Eine deutsche DVD scheint derzeit nicht im Handel, nur die O-Ton-Variante mit spanischen Untertiteln ist wohl erhältlich.





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