Donnerstag, 10. September 2015

Red vs. Blue III - Die Entscheidung

(Teil I hier und Teil II hier.)

An eine RSP-Einsteigerbox müssen andere Kriterien angelegt werden, als an andere Rollenspielartikel. Sie birgt für vollkommen Unbeleckte die Schwelle zu einem arkanen Hobby, das sich als "Spiel" bezeichnet, dabei aber mit den meisten Konventionen von (Brett)Spiel bricht und tatsächlich sowas wie Arbeit und Aufmerksamkeit vom Konsumenten erfordert. Damit diese Schwelle auch überquert wird und nicht abschreckt, muß eine solche Box verdammt viel richtig machen.

"Originalität" ist dabei ganz außen vor, weswegen ich auch nichts negatives über das Setting gesagt habe in dieser Besprechung und auch nichts sagen werde.

Die Entscheidung - Red vs. Blue

Red Box war das (fast) perfekte Produkt zur perfekten Zeit. Sie vermittelt ihren Stoff auf spannend-spielerische Art. Daß man mit ihr alleine ohne Hilfe wirklich Rollenspiel "erlernen" kann, war die grundlegende Voraussetzung für ihren Erfolg in der prä-digitalen Welt. Mit ihr konnte das Medium RSP die entlegensten Dörfer erreichen und dort beginnen sich auszubreiten, ohne daß erfahrene Hilfe dazu nötig war.

Letzt hab ich mir die Haare in den Fliegenfänger geschüttelt. Klebte wie die Hölle. Ruhe bewahrt, gegoogled und den entscheidenden Tip bekommen (Öl). Heute muß in der ersten Welt niemand mehr etwas nur aus einer Box lernen. Das Wissen der Welt steht uns auf Wischen zur Verfügung.



Daher fällt es (kaum) ins Gewicht, daß die Blue Box von Splittermond didaktisch merklich schlampiger ausfällt. Allfällige Unklarheiten können durch das WWW abgefangen und geklärt werden. Das Produkt steht nicht mehr alleine, geballtes, zusätzliches Know-How steht dahinter, sei es in den Herstellerboards, auf G+ oder in Foren wie dem Tanelorn.

Die Blue Box vermittelt das Hobby sehr tauglich, da will ich nichts gesagt haben. Aber sie hinterläßt eben potentiell mehr offene Fragen als die Red Box, zumal das Regelsystem (wenngleich entschlackt) deutlich komplexer ist als BEAM-D&D.

Hingegen bietet die Blue Box etwas, was 2015 wichtiger ist - Komfort und "brettspielige" Materialien, die dem absoluten Neuling etwas scheinbar Vertrautes geben und eine Wertigkeit vermitteln, die die Red Box nicht hatte: Eine Tickleiste (unverzichtbar) und solide Papp-Counter, eine Karte der Arwinger Mark, reizvolle vorgefertigte Charaktere (sieben Stück) und leere Charakterbögen.

Zusätzlich bietet sie mehr Abenteuerstoff als die Red Box mit einer beigelegten, sehr brauchbaren Mini-Kampagne und einer Kurzbeschreibung der Arwinger Mark. Die SL-Tipps sind solide und helfen dem Einsteiger weiter. Diese sollen keinen "Stil" durchzusetzen, was ich hier und in der Red Box sehr angenehm finde. Du wirst Deinen eigenen Weg finden müssen, junger Padawan. Das Bestiary ist allerdings sehr limitiert, vor allem im Vergleich zu den fantastischen Kreaturen in der Mentzer-Box (Aaskriecher, Kleesche, Rostmonster, Drachen).

Alles in allem aber bietet die Blue Box genau den Mehrwert, der sie zum (fast) perfekten Produkt ihrer Zeit macht. 1984 hätte Red Blue geschlagen, heute ist es umgekehrt. Tempora mutantur, nos et mutamur in illis.

"Wir haben einen Gewinner. Die Blue Box spuckt etwas Blut und den Mundschutz auf den Boden des Rings. Dann, mit ehrfurchtsvoller Geste, nimmt sie aus den Händen des roten Veteranen den Gürtel entgegen. Blue hat gewonnen."

Ist mir jetzt nicht leicht gefallen.

Die zeitgenössische Konkurrenz

Der große Vorteil ist, daß es nun eine hervorragende Einsteigerbox wieder im Laden und im Web zu kaufen gibt. Da ist sie nicht alleine. Im deutschsprachigen Markt gibt es zwei Konkurrenten.

Aborea ist eigentlich ein gutes Produkt, aber die grauenvolle sprachliche Gestaltung wirkt auf ein erwachsenen Zielpublikum abschreckend. Vor vier Jahren habe ich die schwarze Box kurz besprochen, heute stehe ich ihr womöglich noch negativer gegenüber, da es so starke Konkurrenz gibt.

Die Pathfinder Anfänger-Box ist eigentlich ein sehr, sehr gutes Produkt. Allerdings nur, um D20-RSP zu erlernen. Dieser eingeschränkte Fokus im Spiel, der vergleichsweise hohe Preis (bei der Ausstattung nicht anders zu erwarten) und die für Epileptiker ungeeignete Gestaltung ziehen den Wert der Box herunter. Umfassend habe ich sie hier besprochen. Schönes Produkt mit deutlichen Schwächen.

Die Blue Box von Splittermond bietet ein volles Paket, das in (fast) allen Aspekten glänzt und ein hervorragendes Preis-Leistungs-Verhältnis bietet.

4.5 von 5 roten Drachen im Schatzhort.

Ein kleiner Wunsch als Postskriptum

Ich hab mich nochmal dem eigentlichen Splittermond zugewandt. Immer noch nicht mein Ding. Getretner Quark wird breit nicht stark. Ich wünsche mir, daß die SpliMoler das Produkt Blue Box weiter unterstützen.

Wir wäre es - nach der Blue Box für Einsteiger - mit einer Red Box für Erfahrene? Liefert die Heldengrade 3-4 nach, noch ein paar Zauber, ein vollständiges Bestiarium und eine geile, möglichst epische Kampagne dreimal so umfangreich wie die in der Einsteigerbox, dazu das Setting-Begleitheft mit den SL-Infos zur Kampagne und vielleicht floor plans der entscheidenden Setpieces.

Wäre schön.

3 Kommentare:

Fadenweber hat gesagt…

Die ehrfurchtsvolle Geste kommt hin! Großer Jubel, Dank und viel Respekt aus der blauen Ecke! :)

Anonym hat gesagt…

"1984 hätte Red Blue geschlagen, heute ist es umgekehrt."

Da bin ich mir nicht sicher. Didaktisch vielleicht, aber wenn 1984 die beiden Boxen nebeneinander im Regal gestanden hätten, und jemand sie einfach nur angehoben hätte, dann wäre die Kaufentscheidung in mehr als der Hälfte aller Fälle zugunsten des farbigeren, schwereren, wertiger produzierten Splittermonds ausgefallen.

TheShadow hat gesagt…

;) Möglich. Meine Aussage bezieht sich aber nicht auf die Verkaufszahlen.

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