Freitag, 16. November 2012

Die Zombiesau

Kawumm! Krabamm. Ja hier stoßen zwei Autos in Real Life zusammen und eines fliegt in die Luft. Hier brennt eines unmittelbar nach einem Zusammenstoß aus und hier geht sogar ein Crashtest schief. Morbide Leser können mit car crash explosion gefühlte weitere fünf Millionen Vids auf Youtube finden. Mir hats nach denen hier gelangt, ich wollte einen Punkt prüfen: Autos können explodieren. Sofort bei Aufprall.

Bruzzel.

Sieht nicht gut aus. Kommt aber vor. Egal wie oft es hinter mir im Kino stöhnt, wie unrealistisch das jetzt sei. Es kann passieren. Wohl nicht so oft wie im Kino, aber eine kleine bis mittlere Wahrscheinlichkeit besteht eben. Das sollte man nie vergessen.

Vor allem nicht wenn mal wieder ein Thema mit Ewigkeitswert in der selbstgefühlten Avantgarde germanischen Rollotums hochkommt. Die Debatte über die Rolle von Realismus im Rollenspiel wuchert aus. Es ermüdet. Nicht falsch verstehen, ich mag simulierende Systeme, und ich lege großen Wert auf Plausibilität, aber Realismus ist Anspruch im Rollenspiel nicht geeignet (natürlich verwende ich umgangssprachlich auch mal "unrealistisch", meine damit aber eher simulierende Annäherungen an Realweltphänomene, wie ich sie wahrnehme).

Realismus über simulierende Regeln zu erreichen, das als erster Punkt, ist natürlich unmöglich. Ehrlich. Nehmen wir Bogenschießen. Ich bin da nicht ganz unbeleckt, ich habe bei Deutschen Meisterschaften geschossen, Parcours, Bogenlaufen, ich weiß ungefähr mit meinem Bogen umzugehen. Bogenschießen in eine Regel zu fassen, die ich als realistisch empfinde, ist unmöglich, wenn sie noch halbwegs handhabbar sein soll.

Also einigen wir uns doch sowieso in allen Fällen auf grobe Kompromisse (z.B. der von GURPS 4 ist ganz gut, meinen empfinde ich auch als brauchbar). Wir sprechen entweder ehrlich von Kompromiß in der Simulation, oder meinethalben auch "halbwegs realistisch".

Am Spieltisch selbst zu verlangen, nur den hehren Realismus walten zu lassen, wenn Situationen aufgelöst und Fakten geschaffen werden, ist ebenfalls problematisch, das zum Zweiten. Realismus ist die Apotheose der subjektiven Ahnungslosigkeit. Wir wissen nur einen Bruchteil der Fakten dieser Welt, und trotzdem empfinden wir eine vollständige Realität. Unser Weltbild, unsere Wahrnehmung der Wirklichkeit basiert in erster Linie auf Unkenntnis.

Also müßten wir rein theoretisch, bei allem, was wir nicht 100% sicher wissen, erst einmal nachschlagen. Bei widerstreitenden Theorien zu einzelnen Sachverhalten müßten wir debattierend abwägen. Will sich das jemand geben? Wirklich? Und selbst bei dem, was wir zu 100% zu wissen glauben, kann es durchaus sein, daß wir falsch liegen. So schreibt einer der Proponenten des Realismus im Rollenspiel:
Wenn ich in eine fremde Welt eintauchen will und ich erlebe dort, wie zwei Autos ineinandercrashen und daraufhin explodieren, dann entsteht für mich ein Glaubwürdigkeitsproblem, da ich das, was mir präsentiert wird, als unrealistisch empfinde.
Here, I could rest my case mit dem trockenen Verweis auf die Filmchen im Teaser.

Der Poster macht das, was wir alle machen: Er agiert auf Basis von Wissen, Halbwissen, Annahmen und Vermutungen um sich eine komplette Realität zu erschaffen. Kann er doch auch anders gar nicht. Aber  Realismusanforderungen ans Rollenspiel zu stellen, ist zum Scheitern verurteilt. Deine Realität ist eine ganz andere als meine. Würde ich für Dich leiten, würden Autos auch mal explodieren. Damit hättest Du ein Problem, und ich müßte es Dir beweisen. Mit sowas will ich mich am Tisch nicht aufhalten. Zumal wir uns im Rollenspiel doch konstant im unvertrauten Teil der Realität aufhalten. Mal eine M16 geschossen? Von einem Nashorn angegriffen worden? Eben. Wer kann eine realistische Attacke eines Panzernashorns simulieren?

Realismus ist Moppelkotze, und wir helfen uns am Tisch doch lieber mit den altbewährten Zutaten:

- Gesunder Menschenverstand
- Extrapolation
- Kommunikation
- Stringenz
- Plausibilität statt Realismus

Damit kommt man viel weiter, bzw. überhaupt erst in Bewegung, und erhält Ergebnisse, die allen zumindest "halbwegs realistisch" erscheinen und haben den goldenen Kompromiß simulierender Regeln in der Hand.

Wie alle Themen wird das jetzt solange Kochen, bis die nächste Zombiesau durchs Dorf getrieben wird. Mein Vorschlag für den nächsten Evergreen: Sollte "Frau" ein Nachteil im Nahkampf sein?




1 Kommentar:

Jens hat gesagt…

Das Problem dieser Sorte Spieler ist die mangelhafte "Suspension of disbelief"1).

Dafür kann es mehrere Gründe geben.
1. Der Spieler hat keine Phantasie. Nada. Niente. Null. Unwahrscheinlich, kann es aber geben.
2. Der Spieler hat ausreichend Phantasie, das Vorgesetzte zu imaginieren. Ist daher Herr über seine SoD. Aber will sie nicht einsetzen.

Letzteres bedeutet, dass seine Kritik nur vordergründig Kritik an der Erzählung des Meisters ist. Unterliegend ist es eine Kritik am Meister selber, bzw. eine Intervention des Spielers in die Erzählung des Meisters. Das kann ganz banales Alpha-Gehabe des Spielers sein, er will möglicherweise in der Spielgruppe weiterhin derjenige sein, der sagt, wo es lang geht.
Das kann auch der Versuch sein, den Meister zu manipulieren: Wenn er nicht "plausibel" ist, also nicht das eintreten lässt, was der Spieler sich wünscht, wird dem Meister vorgeschrieben, was zu passieren hat. Da schwingt die Angst des Spielers vor Kontrollverlust mit (meiner Erfahrung nach häufig bei Rollenspielern anzutreffen).

Ich versuche, solche Spieler zu meiden. Denn es geht nicht wirklich um Plausibilität oder Realismus. Die darauf basierende Debatte geht am Kern des Problems vorbei. Eine Scheindebatte. Zwecklos.

1) http://en.wikipedia.org/wiki/Suspension_of_disbelief

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