Donnerstag, 19. Mai 2016

Hey, da geht noch was.


TLDR: Clinton wird gegen Trump nicht gewinnen und es ist gut möglich, daß das mehr als 150 Jahre alte Zweiparteiensystem zerbricht.

Update 26/5/2016: Der unten angesprochene Clinton-eMail-Skandal nimmt Fahrt auf. Das FBI ist noch nicht fertig, aber das Außenministerium hat seinen Report abgegeben, und er ist vernichtend - sie hat gelogen, wiederholt, und es wurden schon wieder eMails entdeckt. Sogar die Clinton-Mietmäuler auf MSNBC werden unruhig und bezichtigen Clinton der offenen Lüge. Auch sie sind der Meinung, daß ihr der Report großen Schaden zufügt.

Hillary Clinton, und hier lege ich mich schon mal fest, wird nicht die nächste Präsidentin der vereinigten Staaten.  Steil, huh? Sagt die ganze Pressemeute doch was anderes. Klar, sie emulieren nach Trumps "Überraschungserfolg" ein wenig Vorsicht, aber eigentlich ist die Sache - zumindest in deutschen Medien - sonnenklar. Der Hilluminator wird der nächste Präsident.

Nö.

Politik des Stillstands und das Pfeifen im Keller

Das politische System in den USA transformiert gerade, es zerbricht nicht, aber es verändert sich und erweist sich in diesem Übergangszustand als höchst volatil, zumindest für das Wahljahr 2016. Trotzdem halten die Granden der demokratischen Partei an Hillary (noch?) fest. Da beginnt das Pfeifen im Keller. In Zeiten der Unruhe und des Umbruchs ist es verdammt schwer, eine Kandidatin durchzubringen, die als Apotheose des status quo gelten kann, der gerade von der Bevölkerung unter den Bus geworfen wird.



Ihre Ratings rauschen hinab, besonders in den Bereichen "zuverlässig", "ehrlich" und "sympathisch", Sie packt es tatsächlich da mittlerweile hinter Trump zu liegen, der aufholt, je direkter er sich mit Hillary vergleichen kann. In dem Moment, wo sich ein Kandidat an Hillary Clinton reiben kann, in dem Moment steht er besser da.

Selbst die von ihr exzessiv ausgespielte Frauenkarte wird von vielen Frauen in den USA als Beleidigung empfunden. Trump steht in dieser Fokusgruppe zwar nicht besser da, aber als "Lügnerin" zu gelten bei genau der Zielgruppe, die Dir den Sieg bringen soll, ist kein gutes Omen.

Ballaststoffe und Zahlenspiele

Sanders hat in seinem Wahlkampf fast komplett den, äääääh, eher schattigen Charakter Clintons ignoriert und sie rein auf politischer Ebene angegriffen. Trotzdem war sie bereits vergrätzt von seinen Attacken. Ich hoffe man zeigt ihr nicht, wie Republikaner den politischen Gegner angreifen. Die sind da nämlich gnadenlos und keine Gentlemen wie Sanders.

Clinton zieht nicht nur mit den Skandalen, Verfehlungen und, offen gestanden, dem Versagen aus 30 Jahren Hilly-Billy in ihre letzte Schlacht - und da ist nun wirklich genug - sondern auch mit jeder Menge frischer Skandale.

Die FBI-Untersuchung wegen ihres privaten eMail-Servers läuft noch, genaugenommen geht sie sogar in die heiße Phase. Im besten Falle erfährt sie ein Verdikt in der Ecke von "unprofessionell" und "unverantwortlich". Das wäre PR-seitig gesehen eine Katastrophe für eine Kandidatin, die neben der Frauenkarte gerne ihre behauptete "Professionalität und Erfahrung" ins Feld führt.

Im schlimmsten Falle eröffnet das Justizministerium ein Verfahren wegen Verdachts auf Geheimnisverrats in ihrer Zeit als Außenministerin. Mitten im Wahlkampf.

Und ein weiterer Skandal entwickelt sich: Bill Clintons sehr fragwürdige Verbindungen zu einem verurteilten Kinderschänder, dem Milliardär Jeffrey Eppstein, kochen gerade wieder hoch. Das in sich selbst ist ein saftiger Skandal, er wird aber auch zusätzlich Hillarys Vergangenheit als angeblicher "Enabler" ihres Ehemanns ins Rampenlicht stellen. Daß sie selbst einem Kinderschänder eine milde Strafe verschafft hat, obwohl sie um seine Schuld wußte, hilft ihr da auch nicht. Vor allem, wenn sie lacht, während sie das erzählt (dieses Lachen wird garantiert in einem Attack Ad der Reps Verwendung finden).

Wie gesagt, Frauen sind ihre Hauptzielgruppe.

Von einer bestimmten Hoffnung abgesehen, ist die einzige Chance, die die Dems derzeit sehen (wenn sie ehrlich sind), daß a) sie es schaffen, Trump als Ungeheuer darzustellen und dieser b) tatsächlich im kommenden Wahlkampf über die Stränge schlägt. Ich halte a) für aussichtsreich, aber wirkungslos ("*schulterzuck* "Na und? Ist eure besser?"). Zu b) muß ich sagen - nach dem bisherigen Verlauf ist die Annahme, Trump könne sich mit seinem Verhalten schaden, eine reichlich kühne. Wir sprechen hier von einem Land, in dem Eric Cartmann der beliebteste Charakter in South Park ist.

Wenn ich mir die Zahlen anschaue, ist das Ergebnis eigentlich klar, selbst wenn ich so Faktoren wie Wahlbeteiligung und schmutzige Tricks (die beide Seiten beherrschen) außen vor lasse. 29% der Wähler identifizieren sich als Demokraten. Von denen kann Hilly vielleicht zwei Drittel bis drei Viertel mobilisieren. Das wären zwar weitaus mehr als im Vorwahlkampf, aber sie ist dann auch die offizielle Kandidatin der Partei. 26% identifizieren sich als Republikaner. Da kann sie ein paar von den Establishmentreps loseisen, die Trump verabscheuen. Die Teaparty-Radikalen und die Evangelikalen kann sie vergessen. Da gilt sie als Gottseibeiuns.

Gewonnen wird die Schlacht bei den 43% "Unabhängigen". Und hier wird Hillary nur wenig Land sehen. Unabhängige sind mit überwältigender Mehrheit für Sanders, den sie während des Vorwahlkampfs belogen und betrogen hat. Die Stimmen kriegt sie nicht. Ihr derzeitiger Versuch, Sponsoren für ihren Wahlkampf zu finden, die vorher Bush, Romney und McCain unterstützt haben, schaden ihr hier weiter (auch bei Demokraten übrigens). Mittlerweile überlegen sogar die Gebrüder Koch, sie zu unterstützen. Zusätzlich hat Trump mit seiner angeblichen Haltung "gegen das Establishment" hier einen starken Rückhalt, sollte Sanders aus dem Rennen gehen.

In einem direkten Duell Trump vs. Clinton tippe ich auf einen Sieg Trumps in der Höhe von Reagan gegen Carter 1980, also 40 Staaten. (Diese Voraussage vorbehaltlich, daß nicht ein unglaublich schlimmes Geheimnis von Trump aufgedeckt wird.)

Berning down the House

Die größte Hoffnung der demokratischen Führung sind die Massen, die Sanders mobilisiert hat, sein riesiges Wählerpotential, das noch gar nicht richtig übersehen werden kann, da es in vielen Vorwahlstaaten gar nicht wählen durfte. Das sind Stimmen, die die Demokraten nicht hatten. Das Kalkül des DNC ist dabei ein einfaches. Sanders bringt seinen Support zum Nominierungsparteitag und reiht sich dann ein. Hat er nicht oft gesagt, daß er nicht zulassen wird, daß Trump gewinnt? Hat er das nicht vorgestern in Carson City öffentlich quasi versprochen?

Eeeeh. In gewisser Weise schon, aber ich glaube, ihr habt nicht richtig zugehört, weil ihr so laut pfeift und im Keller seid. Schauen wir mal an, was er versprochen hat.
Und eine [demokratische] Partei, die unglaublicherweise zuläßt, daß eine extrem rechte republikanische Partei die Stimmen der Arbeiter an sich reißt. Ich komme aus der Arbeiterklasse dieses Landes, und ich will verdammt sein, wenn wir es zulassen, daß die republikanische Partei, deren Aufgabe es ist, die Reichen und die Mächtigen zu fördern, die Stimmen der amerikanischen Arbeiterklasse gewinnt.
Ziemlich eindeutig. Nur nicht so, wie der Spin läuft. Mit "Wir" bezeichnet Sanders nicht die demokratische Partei, sondern sich und seine Anhänger. Er hat mehrfach betont, daß Clinton nicht in der Lage ist, Trump zu schlagen. Er "will verdammt sein", wenn er einen Präsidenten Trump zuläßt. Und genau das zu tun wirft er den Demokraten vor.

Er hat eine prall gefüllte Wahlkampfkasse. Er hat enthusiastische Wähler und zwar mehr, als die demokratische Partei selbst.

Und er schuldet den Demokraten keinerlei Loyalität.

Die Vorwahlen waren von Beginn verschoben. Es gab endlosen Hick-Hack um die Debatten, die Parteiführung hat ihren Medieneinfluß bis zum Exzeß genutzt, um ihn ignorieren zu können. Alle Wahlen, die Hillary Clinton gewonnen hat (von denen in den alten Sklavenhalterstaaten abgesehen), waren begleitet von verschwundenen Wahllisten, geschlossenen Wahllokalen, Desinformationen, Einschüchterungen und "Fehlern", die ausnahmslos der Kandidatin zugute kamen.

Sanders spielt sein Endgame, aber er kann seine Wähler gar nicht ins Clinton-Lager bringen. Nicht nach der blanken Verachtung, mit der er und seine Wähler von Parteiführung und Clinton behandelt wurden. Tritt Clinton alleine gegen Trump an, hat dieser gewonnen.

Zwei Kandidaten - drei Kandidaten?

Sanders befindet sich in einer beispiellosen Ausgangssituation.

Historisch gesehen ist es aufgrund der komplizierten Wahlgesetze (hier ein Beispiel von vielen) für einen unabhängigen Kandidaten praktisch unmöglich, in einer nennenswerten Anzahl Staaten auf dem Wahlzettel zu erscheinen (selbst wenn er das notwendige Geld aufbringen kann).

Durch seinen Lauf bei den Demokraten ist Sanders in der einzigartigen Position, daß er auf allen Wahlzetteln (außer in Texas (frag nicht)) auftreten kann. Clinton wäre in dem daraus resultierenden Dreikampf weg vom Fenster. Sanders würde gut 30 bis 40% der Dems ziehen und sich mit Trump eine erbitterte Schlacht um die Mehrheit der Unabhängigen liefern.

Witzigerweise wäre es wahrscheinlich Trump, der verhindern würde, daß Sanders mit prozeduralen Tricks ausgebremst würde, z.B. in dem die Dems versuchen, ihn aus den wichtigen TV-Debatten zu halten. Trumps verquerer Ehrbegriff würde wohl für fair play sorgen, da solche Prozeduren bilateral zwischen den Kandidatenteams ausgehandelt werden.

Alle Demoskopie wäre über den Haufen. Seit Jahrzehnten sind die einzelnen Staaten fest in der Hand einer der Parteien, und die Schlacht entscheidet sich in einigen wenigen Swing States. In Verbindung mit dem Wahlmännerkollegium und der Winner-Takes-All-Regel fokussiert der eigentliche Wahlkampf in der Regel gar nur auf einige Bezirke in den Swing States.

All das wäre Makulatur. Ein offener brutaler Kampf um Gesellschaftsbilder und Ideale. Und falls an den Gerüchten in der Washington Post was dran ist, wird das Ganze noch spannender.

Sanders spricht in seinen Reden immer von der sozialen Revolution, die er plant. Er steht kurz davor, diese soziale Revolution, die so revolutionär nicht wäre, einzuleiten mit einem radikalen institutionellen Umbruch.

Die Frage ist, ob der 74jährige diesen Mut aufbringt. Aber es würde nicht nur den USA nutzen, sondern der gesamten westlichen Welt. Wir würden wissen: Hey, da geht noch was.

Und ja: Echte Männer tragen Bart, keine Hipsterzwirbeln.


1 Kommentar:

TheShadow hat gesagt…

Wichtiges Update zum Clinton eMail-Skandal.

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