(Anmerkung für die Rollo-Gäste im Writing 101: Habe mich in den letzten Wochen durch Lied der Gier, Der vergessene Krieg, Rückkehr der Finsternis und vieles Andere gelesen. Dieser Beitrag geht daher über rsp-blogs.)
Wenn Sie Ihren Text fertiggeschrieben haben, wenn "Ende" auf der letzten Seite steht, dann ist es Zeit, ihn für ein paar Tage zu vergessen. Sie werden ihn nicht ausdrucken, Sie werden das "Ende" ein bißchen (bißchen!) feiern und den Text ansonsten vergessen. Drei Tage sind das Minimum.
Nach dieser Zeit drucken Sie ihn aus (mit breitem Rand und zweizeilig) und nehmen ihn in die Hand. Eine fertige Erstfassung, und darauf dürfen Sie stolz sein. Nicht viele, die sich mit dem Gedanken an ein Werk an den Editor setzen, erreichen diesen Punkt.
Sie werden Sie in diesem ersten Überarbeitungsprozeß Ihren Text nicht lesen, Sie werden korrigieren und anmerken. Mein Überarbeitungsablauf ist der folgende:
- Korrekturen und erste stilistische Überarbeitung.
- Überprüfen und Optimieren des Textes auf Ablauf. Einarbeiten der Anmerkungen aus dem Korrekturdokument.
- Feinschliff.
Stil
Stil ist die Grundlage guten Schreibens. Leider ist diese Grundlage nicht lehrbar. Stil.... ergibt sich, er scheint ein Fallout des Schreibprozesses zu sein, in dessen Verlauf die Sprache geschliffen und gehärtet wird. Zumindest ist dies bei den meisten Menschen so, die sich länger mit der Kunst des Schreibens befassen. Fast alles am Schreiben ist Handwerk, Stil ist die Gabe, die das Schreiben selbst verleiht.
Aber auch wenn Sie einen Stil und eine Stimme entwickelt haben, heißt das noch lange nicht, daß Sie ohne Holpern durch Ihre Muttersprache schweben, ganz das Gegenteil. Leider gibt es für die deutsche Sprache keine Elements of Style, dafür jede Menge Besserwisser wie Bastian Sickert. Am ehesten noch von Nutzen erscheint Wolf Schneiders Deutsch für Profis, ein Werk, das sich zwar an Journalisten richtet, aber den Unarten unseres Sprachgebrauchs voll Zielstrebigkeit an den Kragen geht. Aufgeblasenen Sätzen wie dem Vorherstehenden beispielsweise. ;)
Legen Sie im Computer eine Kopie der Erstfassung an, dann öffnen Sie im Editor die Überarbeitungsversion, die Datei, mit der Sie ab jetzt arbeiten werden. Die Erstfassung bleibt unangetastet.
Setzen Sie sich mit einem Kaffee oder Tee an den Arbeitstisch, und arbeiten Sie Ihren Erstausdruck mit einem grünen Stift durch. Sie gehen Szene für Szene vor. Dabei werden Sie vier Dinge tun:
- Sie werden die Syntax- und Orthographie-Fehler anstreichen.
- Sie markieren jeden Absatz, der Ihnen besonders gefällt mit einem Haken am Rand. Unterstreichen Sie, was Ihnen besonders gefällt.
- Sie markieren jeden Absatz, der Ihnen besonders schwach erscheint, in dem Ihnen etwas insgesamt nicht stimmig erscheint, mit einem Kreuz an Rand. Notieren Sie ein Stichwort zum Problem. Wenn Sie eine Lösung haben, dann ebenfalls notieren.
- Sie werden die Stolperfallen der deutschen Sprache suchen, erkennen und eliminieren.
Schauen wir uns #4 etwas näher an
Adjektive / Adverbien. Ich zitiere mich selbst. "Adjektive und ihre Bankerte, die Adverbien, sind Merkmale einer Sprache, die der Faulheit oder Schludrigkeit verfallen ist (deswegen finden sich so viele auf diesem Blog, dem ich halt nur wenig Zeit widmen kann). Man kann Adjektive sicherlich mit vielen Adjektiven beschreiben, "intensiv" aber wäre darunter wohl nicht zu finden. Adjektive, oft verklärt zur "poetischen Verstärkung", verfetten und verstopfen den Fluß der Sprache wie Schweineschmalz die Arterien.
Nutze Verben. Nutze Verben. Nutze Verben. Erdrossele jedes Adjektiv und jedes Adverb, daß Du mit einem Verb ersetzen kannst. Die, bei denen Dir auf die Schnelle nichts einfällt, die sprich halt aus, aber beobachte sie mit Mißtrauen; die Biester vermehren sich wie die Ratten. Auf keinen Fall aber forciere ihren Gebrauch."
Für gewöhnlich wedelt man auf der Adjektivseite dann mit Lovecrafts Prosa über "kosmisches Grauen". Lassen Sie sich nicht täuschen: Das einzige kosmische Grauen in Lovecrafts Prosa ist seine Prosa. (Selbstverständlich wird diese Meinung von vielen nicht geteilt.)
Passivkonstruktionen: Sie haben durchaus ihre Berechtigung, allerdings ist es oft so, daß ein Satz im Aktiv besser wirkt und mehr Dynamik erzeugt. Der Passiv ist die Leideform, und wir wollen nicht zuviel leiden. Keinesfalls tolerieren Sie zwei oder mehr Passivkonstruktionen hinter- oder nahe beieinander.
Satzlänge: Kommt Ihnen ein Satz zu lange vor, besteht die Wahrscheinlichkeit, daß dem so ist. Mehr als drei Standardzeilen (180 Zeichen) definieren einen Satz als "lang". Das bedeutet noch nichts Falsches, denn wechselnde Satzlängen bringen Rhythmus in die Sprache. Haben Sie allerdings ein Auge auf monotone Bandwurmsätze, mißglückte Anschlüsse und Einförmigkeit.
Füllschwurbel: Wir alle verwenden Sie, die Füllwörter wie eigentlich, zumindest, ziemlich, einige. Sie stören bestenfalls, aber sind notwendig. Zumeist jedoch stören Sie nur, schwächen Wirkung ab, blähen Sätze auf. Für sie gilt das Gleiche wie für Adjektive: Ausrotten, wo immer möglich, mit Mißtrauen betrachten, was sich als unentbehrlich tarnt. Wie wir alle werden Sie feststellen, daß Sie sogar regelrechten Lieblingsschwurbel in Ihre Sprache sickern lassen.
Szene für Szene
Wenn Sie eine Szene durchgearbeitet haben, erfolgen die Korrekturen in der Textdatei selbst. Sie verbessern alles, was Sie markiert haben und lösen erkannte Probleme in "schlechten" Absätzen.
Absätze, an denen ein Haken für "gut" zu finden ist, markieren Sie in der Datei komplett Grün, fetten Sie das Beste am Absatz. Ihr Bauchgefühl ist jetzt noch treffsicher, später wird es sich verwirren, die Analyse greift dann anstelle des Bauchgefühls. Analyse hat leider kein Sprachgefühl.
Die grüne Farbe soll die guten Absätze vor Verwirrung schützen. Sonst "verbessern" Sie später ein perfektes "Ich habe nichts zu bieten als Blut, Schweiß, Mühsal und Tränen" im Korrekturwahn zu "Wir alle werden Körperflüssigkeiten verlieren." Das darf nicht passieren, und Grün signalisiert, hier bei Änderungen besonders umsichtig zu sein.
Gehen Sie auf diese Weise Szene für Szene durch. Das ist eine hochkonzentrierte Arbeit, und Sie sollten in einer Sitzung nicht mehr als zehn Manuskriptseiten korrigieren, bevor Sie Ihrem Kopf eine längere Auszeit geben (min. 3 Stunden).
Wenn Sie Ihre Erstfassung auf diese Weise verbessert haben zur Fassung 1.1, dann sind Sie soweit, Sie zu lesen und inhaltlich zu überarbeiten. Ich kann Ihnen versprechen, wir alle werden Körperflüssigkeiten verlieren.
Im nächsten Beitrag dieser Kolumne.
Die Vorläufer sind hier zu finden:
Kurzgeschichten I: Definition der Form und Stoffsammlung
Kurzgeschichten II: Plot, Plotplanung, Konflikt, Charakter
Kurzgeschichten III: Perspektive, Set-Up, Schreibprozeß
Kurzgeschichten IV: Ein Interludium
Alle Writing 101-Beiträge sind hier zu finden.
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