Sonntag, 6. März 2016

Meine Begegnung mit... Beyond the Wall

Momentan stellt Beyond the Wall so einen kleinen Hype in der deutschsprachigen Internet-Community dar. Das geht soweit, daß es jetzt sogar mittels Krautfander eines neuen Verlags ins Deutsche übersetzt werden soll. (Aside: Wobei Hype auslösen in der deutschen Community ja relativ einfach ist - ich hab so fast mal verursacht, als ich im T! ein Bild des Zeugs gepostet habe, das ich so für meinen Privatgebrauch baue ;)).

Ein Klon, ein Klon, es ist ein Klon.

Was haben wir da eigentlich? 90% des Produktes sind nichts weiter als ein gut geschriebener B/X / BEAM-Klon. Soweit in Ordnung. Die Designer haben ein paar Unebenheiten plattgebügelt (ansteigende RK) und Anpassungen vorgenommen. Zeitgeistiges wie Gummipunkte darf natürlich nicht fehlen. Außerdem ist das ganze System auf hotzenplotziges Stimmungsspiel getrimmt (soweit mit dem Ausgangsmaterial möglich), was sich auch im etwas abgewandelten Magiesystem niederschlägt. Hier finden sich dann Elemente wie die Macht des "Wahren Namens" und anderes.


Nett. Nicht aufregend, aber solide. Die D&D-Engine von 1980 - 1984 ist - um einige Probleme bereinigt - das vielleicht robusteste System, das jemals gebaut wurde.

Das Besondere

Was ist denn nun das Besondere an Beyond the Wall? Zum einen Play Books und zum anderen Scenario Packs.

Erstere sind eine alternative Charaktererschaffung mittels Life Path. Der Spieler wählt sich einen Archetypen - z.B. den Hexenschüler - und würfelt sich dann auf ein paar für diesen Archetypen entworfenen, thematisch sortierten (Kindheit und Ausbildung) Zufallstabellen Ereignisse, Werte und Fähigkeiten zusammen. Einer der Würfe ist auch so gestaltet, das er den SC direkt mit einem anderen SC in Verbindung bringt.

Nett. Gut gemachte Lifepaths sind immer eine nette Sache.

Als besonderer Mechanismus indes gelten die Scenario Packs, denn - laut Buch - erlauben sie quasi das fast direkte Losspielen ohne Vorbereitung.
[Beyond the Wall] does offer something that the others do not: tools to play the game almost immediately and with little prep. Using special Character Playbooks and Scenario Packs, a group of players with a single gamemaster should be able to play the game with absolutely zero prep in about three to five hours, from making characters to tasting a glorious success or a bitter defeat.
Okay. Einige Scenario-Packs und Play Books liegen dem Grundspiel bei, weitere sind (teilweise) kostenlos erhältlich. Schauen wir uns den ersten Scenario Pack mal an, die verärgerten Feen.


Angepißte Feen

Ausgangslage: Irgendjemand hat die örtlichen Feen verärgert, und die sind nun dabei Unfrieden in der Heimat der SC zu stiften.

Tabelle 1: Wer hat sie verärgert? Die Tabelle soll ich selbst mit interessanten NSC bevölkern und danach auswürfeln, wer verantwortlich ist. In meinem Falle. Uthger, ehemals ein Held, der blind und blöde nach Hause zurückkehrte und nun normalerweise die Tage rumsabbernd am Dorfbrunnen verbringt.

Tabelle 2:  Was hat er gemacht? Einen vermummten Fremden auf der Straße aus Versehen beleidigt, sagt die 3 auf dem W6.

Hintergrund: Nachdem wir also die schwerwiegenden Probleme ermittelt haben, geht es nun darum, den örtlichen Feenhof ein wenig zu gestalten.

Tabelle 3: Durch einen Unfall kam Puck da an die Macht und hofft auf einen glorreichen Abgang. Mmh. Ich mag diesen Spencer-Shakespeare-Crossover-Charme.

Tabelle 4: Außerdem hat sich Puck in einen Dorfbewohner verliebt.

Tabelle 5: Im Wald herrscht ein strikter Ehrenkodex. Um zu lügen, zu stehlen etc. muß man einen RW vs. Zaubersprüche absolvieren.

Aus diesen Zutaten bringt der SL sein Abenteuer auf den Weg und hält die SC erstmal beschäftigt. Das zu improvisieren über wirklich die grundlegendsten Klischees hinaus wird schwer, da die Infos zu den Feen sehr, sehr dünn sind. Aber eine interessante Ausgangslage ist durchaus vorhanden.

Es geht dann weiter mit Zufallsereignissen (Ein Feuer bricht am Markttag aus), bis der Feenkönig (Puck) dann die SC zu sich ruft (Tabelle 7: Jede Tür, die die Charaktere öffnen, führen nun an den Hof der Feen. Ja, auch die Küchenschränke öffnen sich nach Faerie.) Und nach etwa einer Stunde erhalten die SC so ihre Queste.

Tabelle 8 Problem: Ein Mitglied des Feenhofes ist verschwunden.

Tabelle 9 Hindernis: Puck trifft die Abenteurer unterwegs und versucht einen Handel mit ihnen abzuschließen. Da Puck nach Tab. 3 auch unser Auftraggeber ist, verspricht das eine interessante Entwicklung.

Tabelle 10 Gefahr: Schwärme von Schmetterlinge mit rasiermesserscharfen Flügeln. Nett.

Tabelle 11 Endboß: Eine vom Hof verbannte Fee hat etwas dagegen, daß die SC den Vermißten finden und zurückbringen.

Wenn man bedenkt, daß jede Tabelle sechs Möglichkeiten bietet, wird klar, wie groß die Varianz möglicher Questen ist.

Tabelle 12 Belohnung: Uuuuh. Shiny. Ein Schutzamulett.

Tabelle 13 Nächster Aufhänger: Für das Kampagnenspiel wird dann auch gleich der nächste Abenteueraufhänger ermittelt, den sie während des Spiels erhalten werden: Eine nicht zu genaue Schatzkarte.

Tabelle 14 Kürzlich geschehen: Etwas unglücklich am Ende plaziert ist dann diese Tabelle, die Ereignisse ermittelt, die vor dem Abenteuer geschehen sind. Jeder Spieler würfelt darauf, schaut sich das Ereignis an und kann etwas gewinnen oder verlieren.

Taugts?

Ich kenne SL, die sagen würden: Ja, damit kann ich leiten. Ich kenne keinen, bei dem folgende Probleme nicht auftreten würden: Oberflächliche Darstellungen; zuviel Stereotypen in Handlung, Setting und Charakteren; lange Pausen; häufige Diskrepanzen im Shared Imagination Space etc. pp. uswusf.

Das ist ein sehr schöner, wohldurchdachter Abenteuergenerator. Mit den Ergebnissen setzt man sich hin und denkt ein bißchen nach. Was sind Pucks genaue Pläne? Warum gibt er zum einen den Auftrag, versucht zum anderen, die SC von der Erfüllung abzuhalten? Was ist sein Verhältnis zum "Endboß" und wer ist der/die Verschwundene überhaupt? Was hat es mit Puck und dem Dorfbewohner auf sich? Ach ja: Und was eigentlich geschieht mit Uthger, der die ganze Sache ausgelöst hat?

Tolles Rohmaterial, das man nicht mit zumeist sehr einfallslosen On-the-Fly-Lösungen verschenken sollte.

Fazit - Was kriegt man?

Zunächst einmal einen B/X-Klon mit einigen leichten Varianten und Duftmarken, vor allem bei der Zauberei. Erweitert wurde der Klon um ein schönes Lifepath-System für Spielercharaktere und einige taugliche Abenteuergeneratoren. Die bieten sich übrigens auch für ein sehr hotzenplotziges Aventurien in Nostergast an.

Die Engine ist bewährt und um einige der momentan hippen "narrativen Mechaniken" intelligent erweitert, ohne dabei in verblasenes Meta-Gedöhns mit Autorenanspruch zu verfallen.

Das Versprechen Out-of-the-box löst es nicht ein, aber das kann mMn kein Rollenspiel-System leisten.

Wohldurchdacht, robust, spannend. Das Buch ist nüchtern im Lay-Out mit einigen Illus auf, naja, Fan-Niveau.

6,5 / 10 Punkten*

Hier kann man das englische PDF kaufen (für weniger als $6) und hier das deutsche Crowdfunding unterstützen.

* -1 Gestaltung, -0,5 für nicht eingelöste Versprechen, -2 dafür, daß es zu 90% ein Klon ist. Wer noch keinen Klon (oder das Original) sein eigen nennt, kann das ignorieren.

4 Kommentare:

Klaus Gerken hat gesagt…

Was mich bei dem Spiel etwas abschreckt sind die Skills die in den Playbooks vergeben werden. "The Young Woodsman" kann völlig problemlos mit den Skills Fischen, Folklore und Gerben beginnen.
Was für eine Bereicherung für eine Abenteurergruppe.
"Die Kriegerin kann Kämpfen, der Zauberer kann Zaubern, und mein Schurke macht das weicheste Leder für zarte Damenschuhe." o.O
Und lass mich gar nicht erst mit dem Betteln-Skill des "Untested Thief" anfangen.
Hotzenplotzig ist noch das nette Wort dafür.

Anonym hat gesagt…

Die Rezension ist für Außenstehende schwer zu lesen. Was ist "B/X", was ist "BEAM"? Ohne Vorwissen kann man das auch nicht erfolgreich googlen.

TheShadow hat gesagt…

Man kann das googeln. Zweites Link. Grüße.

TheShadow hat gesagt…

http://lmgtfy.com/?q=B%2FX-Klon

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