Mittwoch, 16. Mai 2012

Gewalt

Dies sind Gedankensplitter zum Implementieren von fiktionaler Gewalt. Wer sich damit nicht befaßt und lieber romantische Komödien schreibt, kann sich das also sparen.

Was die Gewaltproblematik in den Medien angeht, das ist eine Diskussion, die ich nicht führen will, sei es Inhibitionstheorie, Katharsistheorie oder sonstiges. Selbstverständlich verachte ich rein exploitative Gewaltdarstellungen, die sowieso nach §131 StGB verboten sind, und das vollkommen zu recht.

Gewalt ist jedoch seit jeher Bestandteil erzählender Medien, ist Bestandteil des fiktionalen Kosmos des Menschen. Gewalt ist eine Grundlage des Menschen, und kein Autor, gleich in welchem Medium, kann sich dem entziehen. Die Mehrheit erzählenswerter Geschichten, die Aufmerksamkeit finden, die vielleicht etwas über die Condicio humana vermitteln, tangieren das Thema zumindest.

Fiktionale Gewalt, die nicht zum Selbstzweck verkommen ist, hat dramaturgische Funktion. Sie erzählt uns etwas, gibt uns Hinweise, offenbart Absichten, Motivationen, deutet künftige Entwicklungen an oder leitet Verhalten her. Sie erzeugt außerdem Gefühle im Publikum, Abscheu oder Mitleid beispielsweise. 

Gewalt kann polymorph auftreten, sie kann das Mittel der Wahl sein, sie kann doch die richtige Antwort sein (jeder Kriegsfilm, der Appeasement thematisiert, arbeitet damit), sie kann abstoßend sein, willkommen, machiavellistisch oder heimtückisch. Sie kann alles zugleich sein. 

Gewalt teilt sich durch den Schmerz mit, den sie verursacht.

Schmerz transportieren

Ideal ist es, wenn wir als Publikum den Schmerz, der auf Leinwand oder Buchseiten vermittelt wird, empfinden können. Auf diese Weise können wir die Charakteristika, die die Gewalt enthüllt, besser nachvollziehen, die Gestaltungsabsicht dahinter verstehen. Dazu muß der Schmerz innerhalb unseres Erfahrungsbereiches liegen. Angeschossen wurden wir in den seltensten Fällen, Schußverletzungen bleiben für uns daher abstrakt. Wir wissen aber, wie Verbrühungen und Verbrennungen sich anfühlen, und wir fühlen mit (zumindest die meisten von uns).

Ein möglicher Grund liegt in den sog. Spiegel-Neuronen (hier ist ein Vortrag von Vilayanur Ramachandran vom Center for Brain and Cognition der UCSD). Diese steuern anscheinend unsere Empathiefähigkeit. Diese Neuronen feuern nicht nur, wenn wir Schmerzhaftes erleben, sondern auch, wenn wir sehen, wie jemand anders etwas erlebt, das wir als schmerzhaft erfahren haben.

Hallo, heiße Herdplatte, glühender Schürhaken, Topf mit kochendem Wasser.

In der Verfilmung von The Long Goodbye mit Elliot Gould  schlägt ein Zuhälter einem "seiner" Mädchen eine Flasche zwischen die Zähne. Wir wissen sofort, wie sich das anfühlt. Daß die Handlung überhaupt nicht vorbereitet wird, sondern ansatzlos geschieht, erhöht den Effekt. Es ist eine zutiefst bösartige Szene.

Wenn wir schon mit nicht erfahrbarem Schmerz konfrontiert werden, ist es wichtig, daß uns zumindest die Darstellung beim Empfinden hilft. Hitchcock realisiert das in einer Sequenz von Torn Curtain. Hier wird der Schurke gewürgt, ein Küchenmesser bricht in der Wunde ab, eine Schaufeln wird auf seine Kniescheibe geschmettert, und schließlich wird er mit dem Kopf in den Gasbackofen gesteckt. Wie später auch in Frenzy zeigt Hitchcock hier auch, wie widerlich, aber auch anstregend es sein kann, einen Menschen zu töten (Hitchcock, das als Aside, hat diese Sequenz ohne Musik gelassen, was die nüchterne Brutalität unterstreicht.)

Gewaltspirale

Diese quasi intimen Formen der Gewalt, die wir zumindest ansatzweise nachvollziehen können, haben nur einen begrenzten Anwendungsbereich. Ein Kriegsfilm beispielsweise sprengt diesen Rahmen. Hier muß Gewalt abstrakt zum Zuschauern transportiert werden. In einer Zeit, in der wir sowohl durch reale Gewaltdarstellungen als auch durch exploitative Gewalt in fiktionalen Medien (der bis vor kurzem so beliebte Torture Porn) weitgehend abgestumpft sind, ertragen wir an abstrakter Gewalt einiges, was uns noch nicht einmal ein Gähnen entlockt.

Diese Gewaltspirale ist aber kein neues Phänomen, sondern zieht sich quasi durch die Geschichte von Buch und Film. Exploitation und Sensationalism, Blood and Thrills waren eigentlich schon immer ein Bestandteil des Medienzirkus', gewiß aber seit den Penny Dreadfuls.

Um diese, ich nenns mal "Übersättigung" (Abstumpfung ginge auch), zu durchbrechen und Gewalt auch Wirkung zu verschaffen, gibt es drei Methoden.

Realität: Je realer das Geschehen wirkt, desto eher wird die Gewalt darin wahrgenommen, nicht nur konsumiert (so der Gedanke). Sehr gutes Beispiel ist die Invasions-Sequenz im ansonsten schwachen Saving Private Ryan. Spielberg hat hier a) alle Stopps rausgezogen (mehrere beratende Veteranen haben den Gore-Level während des Drehs immer wieder höher geschraubt) und b) wirft uns die filmische Umsetzung mitten hinein.

Diese Methode ist zumindest im Film die älteste, bevorzugt im Kriegsfilm (z.B. schon 1930 die Hände im Stacheldraht in All Quiet on the Western Front) und im Thriller-Genre.

Phantasie: Hier wird die Gewalt der Phantasie des Zuschauers überlassen, in dem ab- oder weggeblendet wird. Ein brauchbares Set-Up vorausgesetzt, das unsere Phantasie ausreichend ausstattet, kann das sehr effektvoll sein. Im Dritten Mann muß Carol Reed die Opfer des Penicillin-Verschneidens nicht zeigen, es genügen das Entsetzen von Joseph Cotton und die zur Maske erstarrte britische Umgänglichkeit von Trevor Howard (die entscheidende Sequenz beginnt ab ca. 12:30).

Die Methode ist aber lange außer Mode, da sie nur sehr schwer einzusetzen ist. Der Wegfall der Zensur international hat nicht nur Gutes gebracht, sondern leider auch das Aussterben subtiler Ausdrucksformen mangels Notwendigkeit.


Stilisierung und Ästhetisierung: Phantasie findet als stilbildendes Element durchaus noch andere Anwendung. Eine interessante Variante bot Pan's Labyrinth, der seine reale Gewalt in teils phantastische bis alptraumhafte Bilder regelrecht verkleidet. Auch David Lynch arbeitet gerne damit. Bei diesem Ansatz wird Gewalt entweder allegorisch oder stilistisch überhöht und ästhetisiert.

Die Effekte können reichlich verstörend sein, können Gewalt quasi über die Hintertür transportieren. Angesichts dessen, was mittlerweile in den Mainstream geschwappt ist, ist das vielleicht die einzige Methode, mit Gewalt noch nachhaltig Wirkung zu erzeugen, die über platten Effekt hinausgeht. Das Vorgehen birgt aber auch die Gefahr, von Dramaturgie in Verherrlichung abzugleiten, auch wenn man das vielleicht gar nicht will.

Türen in die Dunkelheit

Manche Dinge stoßen Türen auf in die Abgründe unserer Art. Jede Darstellung solcher Vorgänge, die über eine sachliche Schilderung hinausgeht, ist zwangsweise exploitativ. Das (Vorsicht, möglicherweise Trigger) beispielsweise ist eine Auflistung der Versuche, die die japanische Einheit 731 im II. Weltkrieg an Zivilisten und Kriegsgefangenen durchgeführt hat.

Jeder Versuch, einem solchen Alptraum durch literarische Verarbeitung in gleich welchem Genre mehr Schärfe zu verschaffen, ist zum Scheitern verurteilt. Er wird zwangsweise das Gegenteil erreichen. Alles, was du vielleicht damit sagen willst, verkommt davor zur verharmlosenden Banalität.

Klar, geht beispielsweise ein Star-Regisseur an einen solchen Stoff, werden sich Kritiker finden, die das gut finden. Da gibt es sogar Oscars. Trotzdem ist z.B. Schindler's List übelstes Melodrama voller Klischees und sonst nichts, Holocaust-Exploitation eben.

Was aber funktionieren kann, ist die Verwendung der Iconographie unserer kollektiven Dunkelheit in anderem Zusammenhang. War of the Worlds hat neben deutlichen Schwächen auch einige großartige Szenen. Sehr eindrucksvoll die Illustration der totalen Vernichtung durch den brennenden Zug, beklemmend der Ascheregen wie aus Krematorien oder in New York nach 9/11. Wenn man eine dauerkreischende Dakota Fanning (und einen letztlich flachen Plot) zu ertragen vermag, kann man sich die Bildstärke des Filmes erschließen.

Diese etwas düstere Note beschließt die Ausführungen, bei denen ich zunächst nur an der Oberfläche kratzen konnte.

Popcorn-Gewalt

Als Cheer-Up noch ein paar Gedanken zur Funktion von Gewalt in Popcorn-Fiction, d.h. in Geschichten und Filmen, in denen stets das Gute siegt, und in denen alles auch nicht ganz so grim'n'gritty ist.

Hier dienen Verletzungen des Helden dazu, die Spannung zu erhöhen; in den meisten Fällen wissen wir ja, daß dem Helden am Ende nichts passieren wird. Spannung baut sich auf, weil wir ggf. über die Hintergründe der Antagonisten rätseln und weil wir uns fragen, wie der Protagonist aus dieser vertrackten Situation herauskommen wird. Es ist das Wie, das uns fesselt, nicht das Ob.

Verletzungen sind hier ein Teil der Opposition, der Hindernisse, die der Held zu überwinden hat. Sein eigener Körper wird - wenn genügend verletzt - zu einem Hindernis. Dramaturgisch halten sie ihn vorübergehend auf oder schwächen ihn in einer gefährlichen Situation. Die ganze Die-Hard-Reihe baut darauf auf.

Nutzen Sie das aus: Schulterschuß? Klar hat der Held noch einen Kampf, den er zu verlieren droht, weil sein Gegner ihm mehrfach auf die frische Wunde drischt. Gebrochene Finger? Irgendwann wird der Held nachladen oder ein Schloß knacken müssen.

Die Wunden des Helden haben Wertigkeit.

Klar mögen wir es, wenn der Gute die Ziellinie erreicht. Noch mehr jubeln wir, wenn er darüber kriechen muß, mit letzter Kraft, denn das erhöht unser (falsches?) Bewußtsein dafür, daß das Gute letztlich trotz aller noch so brutalen Widerstände siegen wird.




1 Kommentar:

Timmy hat gesagt…

Morbide liest sich das. Aber spannende Gedanken. Danke für die Vorstellung von Vilayanur Ramachandran, sehr aufschlussreich.

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