Dienstag, 22. September 2015

Stefan George und die Facebook-Kackbratzen

Der deutsche Qualitätsjournalismus(TM) leistet sich den Kolumnisten. Das sind Typen (und Typinnen, klar), die das tun, was dem deutschen Redakteur vorenthalten bleibt: Meinung und Ironie zeigen. Der SPIEGEL hält sich gleich mehrere davon. Sascha Lobo, z.B., die fleischgewordene und letzte Inkarnation der dotcom-Krise, eine Art ISDN-Buddha mit Doppelleitung, oder die Berg, deren Belanglosigkeiten wohl ein Publikum finden müssen, das das mit Gewinn liest (na, wie ist das als Dystopie?)

Ein besonderes Phänomen sind ja Kolumnisten aus der rechten, pardon, "konservativen" Ecke. Beim besagten SPIEGEL ist das der Fleischhauer Jan, der einmal die Woche erscheint, ein Karl Josef Wagner mit erweitertem Grundwortschatz, Ausbaustufe 1B.

Der setzt sich also einmal die Woche hin, bröckelt sich zumeist irgendwelche Stammtischparolen aus den Ohren und schmiert sie in die Textmaske. Dann starrt er lange drauf und hält das für Nachgedachtes. Warum der SPIEGEL seine Reputation noch weiter drückt, indem er solche Typen im Keller vor die Tastatur kettet, erschließt sich mir allerdings nicht.


Diese Woche geht der Fleischhauer voll in die kognitive Distanz ab. Unter dem Titel "Weniger Demokratie wagen!" (mit Ausrufezeichen) ledert er gegen das "Subproletariat" und dessen Frechheit, sich "im Netz" zu äußern. Dessen Meinungsspektrum jemand wie Fleischhauer natürlich vollends überblickt. Die Äußerungen des "Internetkrakelers" und anderer Kackbratzen stören ihn. Ach was, das ganze World Wide Web stört ihn, denn "Idioten hat es immer gegeben, früher hat man sie nur nicht so oft gesehen." Früher, früher konnte man die "Abgehängten" ignorieren. Heute, heute sind sie sichtbar. Und was sind das nur für eklige Leute.
Es gibt auch Nazis, die den Gebrauch des Semikolons beherrschen, anstatt es für ein Ausrufezeichen von Lesben zu halten, aber das ist eher die Ausnahme. Wer in der Freizeit Stefan George liest, neigt eher nicht dazu, andere morgens mit "Hey, Arschloch" zu begrüßen.
Was lernen wir daraus? Nazis lesen keinen Stefan George, und der Fleischhauer Jan muß mal wieder seinen bildungsbürgerlichen Hintergrund blitzen lassen (auch wenn man nur die Wiki in den Shortcuts hat). Zu blöd, daß der Wiki-Artikel nicht erwähnt, wie gerne die Nazis Georges stammelndes Teutonenraunen lasen (was nicht verwundert):
Er heftet / Das wahre sinnbild auf das völkische banner / Er führt durch sturm und grausige signale / Des frührots seiner treuen schar zum werk / Des wachen tags und pflanzt das Neue Reich?
1933 wollten die Nazis George zum  Chef der arisierten Kulturkammer machen. Am 10. Mai, dem Tag der Bücherverbrennung, ließ George dem zuständigen Minister in Kleinschreibung mitteilen, er leugne "die ahnherrschaft der neuen nationalen bewegung" durchaus nicht, stehe aber für keinen Posten zur Verfügung.

Doch zurück zum Fleischhauer Jan. Nachdem er einer konservativen Ikone wie George mal eben die Nazi-Vergangenheit weggeschönt hat (eine lange Tradition in diesen Kreisen) brettert er dem Lumpenproletariat dann noch eine rein, die sich gewaschen hat:
Dass unser System relativ stabil ist, verdanken wir nicht zuletzt der Tatsache, dass ein nicht unbeträchtlicher Teil der Wählerschaft zu desinteressiert oder zu betrunken ist, um am Wahltag aus dem Bett zu finden. (...) Wenn alle Leute ihre Stimmen abgeben würden, die dazu berechtigt sind, wären in Deutschland nicht nur gemäßigte Kräfte im Bundestag vertreten.
Fleischhauer matscht sich in seinen Kolumnen Putin, Pegida und alles Linke zu einer Gesamtbedrohung zusammen, Flüchtlinge werden zum Problem und all das wird man ja wohl noch mal sagen dürfen. Nur - was glaubt der eigentlich, wer dieses eklige Zeug zu goutieren weiß, das er wöchentlich serviert?

Fleischhauer ist einer von jenen Typen (wie Sarrazin), die das krause Gedankenkonvolut des deutschen Stammtisches in ganze Sätze fassen. Statt "Ausländer raus" zu grölen, verlangt er eben eine unsentimentale Abschiebepolitik, denn "auch Gutmütigkeit ist eine Ressource, die versiegen kann." Der macht sich halt nicht dreckig mit offenem Haß. Periodisch setzt er sich verbal vom pegidischen "Pack" ab und spöttelt über "Chantalle". Man will ja nicht unstandesgemäß erscheinen.

Anders als Sarrazin (und andere selbsternannte "PC-Opfer") aber fühlt sich Fleischhauer nicht ausgegrenzt, nein, er weiß, daß er mit seinen kleinen, zynischen Beiträgen zu Flüchtlingen, Vegetarismus, Deutschland als Zahlmeister der EU etc.pp genau dort ist, wo in Deutschland die "Mitte" ist. Oh, welch Grauen, denn er hat recht. Da bleibt mir ja nur, nochmal georgeische Gedankenfragmente hierher zu setzen:
Keiner der wahre weisheit sah verriet: / Die menschen griffe lähmendes entsetzen.
Wird man ja wohl noch sagen dürfen.






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