Donnerstag, 2. Februar 2012

"Nein danke, ich möschte nicht..."

Als mehr der Old School verhafteter SL und Spieler stieß Rollenspieltheorie bei mir seit ich von ihr hörte auf Skepsis, wenn es darum ging, damit Probleme am Tisch zu lösen. Aufgrund dieser Skepsis mied ich den Komplex für lange Zeit, bis ich letztes Jahr (man will ja keine Chance zur Besserung verpassen) begann, mich doch damit zu befassen. Ich habe in Foren diskutiert, mir alten Forgekram reingezogen, dessen Stringenz (gerade von Edwards Beiträgen) einem Wollknäuel glich, das meine drei Katzen gerade in den Pfoten hatten. Ich habe gelernt, daß man Pudding nicht an die Wand nageln kann, festgestellt, daß Standpunkte seitens einiger (nicht aller) Proponenten rasch zu elastischer Verteidigung mutieren, sobald man ein bißchen stochert und Inkonsistenzen anspricht.

Zeitverschwendung im Endeffekt. Warum? Weil die Problematik, die zu Modellentwicklungen wie dem GNS führten, nur begrenzt existiert, und die ganze Sache von einem offenkundig frustrierten, bitteren Mann angestoßen wurde, der, so habe ich den Eindruck, das Hobby eigentlich gar nicht mag.

Ich bin kein Simufant, kein Narradingens und kein Gamist. Ich bin ein Ketzerist.

Während meine überschaubare Leserschaft also Scheitholz besorgt und schichtet, hab ich noch ein bißchen Zeit, und ich möchte zunächst all' jenen danken, die von RSP-Theorie so begeistert sind wie ich vom Duft eines Käsekuchens: Ihr habt es versucht, es ist nicht eure Schuld, ich have mich im Dunkel der Häresie verloren. (Wirklich aufrichtigen Dank an diverse Tanelornis, die mir beim Verständnis geholfen haben (besonders Horatio); es hat geholfen, aber nicht überzeugt.)

Doch zurück zum Thema: Seine Modellierung habe er entwickelt, so schreibt Edwards selbst, weil er in seinem Umfeld "müde, bittere und frustrierte Rollenspieler, die am Spiel nur wenig Spaß haben", sah. Das ist ein ehrenwertes Anliegen, gewiß. Aber er war ihr SL. Wenn meine Spieler "müde, bitter und frustriert" sind, dann faß ich mir an die eigene Nase und ändere meinen Leitstil (oder werfe hin). Ganz bestimmt fabuliere ich dann keine Zwangsjacke namens "Creative Agenda" um "Spielziele" in eine Zelle zu sperren. Die von ihm verlangte, als gut und erstrebenswert dargestellte Uniformierung, Normierung, Kategorisierung; das hat schon was Faschistisches. Gruppen dürfen nur im Gleichklang der Agenda marschieren.

Wer sich nicht daran hält, der spiele "dysfunktional". In einer "dysfuntionalen" Gruppe kracht es an allen Ecken und Enden, weil die Spielziele (eben dieses GAM, NAR und SIM (letzteres in vierzehn mystischen Inkarnationen und drei neuen Geschmacksrichtungen wie SIM/Character oder SIM/Setting)) der einzelnen Spieler kollidieren und so dafür sorgen, daß es Frust gibt, was zu Opstipationen, schlechtem Atem und Ekzemen führt, im Extremfall zu Blindheit. Es ist eine Qual, die Hölle oder mehr.

So will es die Theorie. Und natürlich, das kann stimmen, das kann zutreffen: Wenn vollendete Egoisten aufeinander treffen, die kommunikationsunfähig darauf bestehen, zu 100% ihr Ding (sei es G, N oder S (in einer seiner vierzehn mystischen Inkarnationen oder seiner drei neuen Geschmacksrichtungen)) durchzuziehen, ohne Rücksicht auf Verluste, und denen das Soziale dieses wundervollen Hobbies schnurstracks an den tiefer gelegenen Öffnungen vorbeirauscht. Mit Dopplereffekt. Dann greift das Modell, dann hat es Gültigkeit, dann berührt es jenes fragile Ding, das wir Realität nennen.

RSP-Theorie nach Edwards hilft mir, mit Leuten zu spielen, die ich gar nicht kennen will.

Während es also bereits zu meinen Füßen glimmt, Heugabelzinken im Fackellicht glitzern und eine Stimme durch die erste Strophe eines Chorals bröckelt, besinne ich mich darauf, wie ich, mit etwas gutem Willen, einige Abstriche an meinem Ding hinnehme, um dafür am größeren Ding der gesamten Gruppe teilhaben zu können, in der Gewißheit ruhend, daß mein SL sich auf seine Hauptaufgabe besinnt und all die verschiedenen Ansprüche seiner Spieler integriert, auf daß jeder, er selbst eingeschlossen, einen vergnüglichen Abend erlebe.

Dazu brauche ich als SL keine Theorie, dazu muß man zuhören, und der andere muß kommunizieren. So soziale Dinge halt. Dann klappt das auch mit der Agenda, ohne, daß sie zur Zwangsjacke wird.

9 Kommentare:

Cyric hat gesagt…

Erstklasiges Posting. Mir geht das ganze Theorie Gelaber auf Tannelorn und anderen Foren / teilweise dt. Blogs auch auf den Keks.
Da lob ich mir viele der zumeist amerkikanischen RPG Blogs, wo neben ein wenig Edition War und Selbstwerbung viel echte Hilfe für Rollenspiel zu finden ist, viel Eigenantwickeltes, Kampagnenblogs, News über alle Systeme und Genres hinweg, Rants und Gerüchte. Aber vorallem eben wenig Theoriegeblubber das wohl hauptsächlich nur dazu dient, den Absondernden das Hobby Rollenspiel mit möglichst viel intellektuellem Habitus zu ummanteln, um so das eigene Selbstvertgefühl zu stärken.

Und wer frustrierte Spieler hat sollte diese einfach mal abseits des Spieltischs fragen, woher der Frust stammt. Nach meiner Erfahrung liegt es zumeist darin begründet, dass viele einfach nur für ein paar Stunden Helden sein wollen und häufig weder Lust, Zeit noch Interesse mitbringen, sich tagelang in Settings oder Regelwerke einzuarbeiten, noch sich besonders intensiv mit ihren Charakteren und deren Rolle in der Welt zu befassen. Und darauf muss man als SL halt eingehen - oder sich andere Spieler suchen.

Roger hat gesagt…

Darf ich mich da einreihen? Ich interessiere mich an sich schon fürs Metagaming, aber finde auch, dass es stellenweise auf die Spitze und noch darüber hinaus getrieben wird.

Letztendlich prallt aber auch hier die Theorie mit der Praxis noch stärker als sonst üblich zusammen und wird zu einer nondeskriptiven Farce.

Bereits früher scherzten wir, dass man 4 SLs in einen Raum packen kann und 6 Meinungen kriegt zu einer Frage. Jeder SL hat doch seinen eigenen Stil, jede Runde hat einen präfferierten Stil.

Wenn dieser nicht in die Theorien passt oder ein Mischmasch der Strömungen ist, was dann?

Ich habe selbst Diplomarbeiten, sogar Dissertationen über Erzähltheorien gelesen, fand sie auch gut, wenn ich sie verstand (..hust..), aber was in manchen Foren betrieben wird, ist.. nun ja ;)

Übrigens gefällt mir dein Blog sehr gut, wir werden Ihn in die Blogroll aufnehmen. Er verdient einfach mehr Leser

Peter hat gesagt…

Da schlägst du doch auf ein totes Pferd ein. Der Theorieteil der Forge wurde schon vor Jahren geschlossen (gefühlt 10 Jahre), und wenn irgendwo ein Neuling mit GNS ankommt, dann werden in den einschlägigen Foren kollektiv die virtuellen Augen verdreht.

Aber WAS uns die ganze Rollenspiel-Theorie gebracht hat ist die Verbreitung der simplen Aussage, dass unterschiedliche Menschen unterschiedliche Dinge vom breit aufgestellten Hobby "Rollenspiel" und ihren Mitspielern erwarten; und dass es sich lohnt, sich dieser unterschiedlichen Erwartungen und Zielsetzung bewusst zu werden und evtl. sogar darüber zu reden! Lacht nicht, ich hab das noch im Jahre 2002 alten Rollenspielhasen zu erklären versucht, denen diese heute trivial anmutenden Fakten so fremdartig schienen wie Aristoteles die allgemeine Relativitätstheorie.

Anonym hat gesagt…

Danke.

Du sprichst mir aus der Seele.
Für mich steht Dein Artikel stellvertretend für das ganze Theoriegegelaber über Sandboxing, Railroding, Mapping, Spielergängelung, SL-Willkür und dem restlichen Müll.

Dein letzter Absatz triffts.
Genau so sehe ich das auch.

Backalive.

Anonym hat gesagt…

Peter hat alles relevante gesagt.

GNS? Gulasch, Nudeln und Salat?
Edwards? Der mit den Scherenhänden? ;-)

Rollenspieltheorie hilft Dir nicht bei neuen Spielern auf einem Con, die Du nur einmal siehst, nicht einschätzen kannst!

Der Krams hilft Dir manchmal, wenn es nicht so gut läuft, um zu erkennen, was nicht so gut läuft.

In den 80ern und 90ern konnte man nur vage erörtern, was schief lief. "zu viel Kämpfe. Spieler A mag B nicht. C wollte seinen Charakter nicht sterben sehen. D findet es scheiss, dass E immer so viel besser ist"...

Die größte Leistung, die vielleicht da erbracht wurde, ist die von Robin D. Laws, als er die klassischen Spielertypen ausformulierte. Denn das brachte zum Nachdenken.
Das wichtigste Fazit, dass man haben kann, ist, dass nicht jeder alles gleich toll findet und dass man herausfinden sollte, wer was mag und was nicht.

Man kann sich nicht klonen und 5 mal an den Rollenspieltisch setzen und die Menge an Mitspielern ist nicht unendlich, dass man seine ideale Runde zusammenstellen kann.
Also spielt man mit dem, was man hat, mit Leuten, die andere Vorlieben haben.
Letztendlich läuft es meistens auf einen Kompromis heraus, was am Tisch gespielt wird.

Nur diesen zu finden, da geben die Theorien manchmal Anregungen und Inspirationen.
Und dabei ist Gulasch, Nudeln und Salat die uninspirierenste.

Dennis hat gesagt…

Ich finde die Kategorisierung, die RPG-Theorie anbietet, nicht prinzipiell schlecht - und dass sie etwas einengt muss ebenfalls nichts Schlechtes sein: restriction breeds creativity, mit den Worten Mark Rosewaters. Ich leite (erst) seit etwa 5 Jahren RPGs, und etwa Laws Spielertypen - so oberflächlich sie sein mögen - haben mir zwischendrin beim "neu orientieren" ganz gut geholfen.

Insgesamt habe ich aber das Gefühl, dass RPG-Theorie eigentlich schon wieder ein alter Hut ist und nur immer wieder in Forendiskussionen bemüht wird. (Repräsentativ ist diese Ansicht allerdings nicht, ich lese kaum Foren.)

In die Blogroll von Cyclopean Citadels kommst du auch mal, ich lese hier recht gern.

PS: Die moderierten Kommentare bei Blogger sind ein Alptraum.

Falk hat gesagt…

Zum Glück ist dies (noch) ein freies Land, wo sich Rollenspieler auch theoretisch Gedanken über ihr Spiel machen können.
"Theorie-mag'sch nett. Kann ich auch so."
Eine sehr gehaltvolle Ergänzung. Aber wen interessierts, wer was nicht mag?
Kommt da noch was? Ein Contra-Argument u.U.?

Ansonsten, was Peter sagt. Wer die RPG Theorieerkenntnisse bei GNS sucht, hat sie nicht verstanden.

TheShadow hat gesagt…
Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.
TheShadow hat gesagt…

Danke, mit soviel Feedback hatte ich nicht gerechnet. Schön.

@Peter:

Ja, Forge ist alt etc. pp. Aber GNS/ Big Modell ist immer noch das, was z.B. im Tanelorn am häufigsten debattiert wird, so z.B. im Strang "Die Sim-Varianten im GNS/Big-Modell", der ist keine 3 Monate alt. Im letzten Herbst erregte eine GNS-Betrachtung von DSA 4 auf dem Wolkenturm einige Resonanz in der Community.

Alt vielleicht, aber durchaus, nach einigen Metamorphosen in die aktuelle Gestalt, noch vorhanden.

@Anonym #2
Du nennst Laws Spielertypen. Das ist sicherlich hilfreich, hat er aber letztlich nur von Douglas Niles übernommen. Und die Erkenntnis, daß unterschiedliche Menschen unterschiedlich ticken mußtest Du "alten RSP-Hasen" erklären? Dann liegen mMn Probleme vor, die garantiert nicht mit einer RSP-Theorie (welcher auch immer) gelöst werden können.

@Falk

Über Grade der Freiheit läßt sich zwar trefflich streiten, aber du hast natürlich recht. Dies ist ein Rant, mit dem ich den Gedanken beerdige, GNS/Big Model oder wie immer die aktuelle Mutation grade heißt könnte mir am Spieltisch, also in der PRAXIS helfen. Und ich erkläre warum. Das muß Dir nicht gefallen, aber hey, das ist mein Blog und da darf ich das. ;)

Ich hab gewiß nichts gegen Theorie um der Theorie willen, oder besser noch als Bestandteil von Designüberlegungen. Aber dann doch bitte mit Struktur und Überlegung wie z.B. hier: http://florian-berger.de/de/texte/rollenspiel/ade-rollenspieltheorie-ein-streifzug

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