Dienstag, 28. Februar 2012

Writing 101: Kurzgeschichten Teil II

(Es gibt natürlich einen Teil I, und alle W101-Beiträge finden sich hier.)

Wie versprochen nun der II. Teil zum Thema "Kurzgeschichten schreiben". Eine grobe Definition und das Finden des Stoffes habe ich ja schon im ersten Teil geposted, nun also geht an die Umsetzung. Zuvor aber noch ein Wort zu einigen Feedbacks, die ich bekommen habe, und die sich wie folgt paraphrasieren lassen: "Och ne, nicht Kurzgeschichte. Ich will einen Roman schreiben." Wer nicht? Tatsache: Ein Roman ist eine Herkulesarbeit, er braucht Muskeln und Disziplin. Beides zu trainieren, darum geht es bei der Kurzgeschichte, selbst wenn man sie nicht mag. Und Sie können Ihre Feder / Textverarbeitung an verschiedenen Genres testen.

Plot vs. Story

Viele schreiben eine schöne Schilderung, eine Charakterisierung, einen Dialog vielleicht oder auch eine Anekdote, sind stolz darauf (oft sogar zu recht) und veröffentlichen auf ihrer Website als "Kurzgeschichte". Daneben. Das sind Formen von Kurzprosa, keines davon ist eine Kurzgeschichte.

Eine Kurzgeschichte hat eine Handlung, einen Plot. Plot unterscheidet sich von Story dadurch, daß er nicht chronologisch sein muß, aber dafür Kausalität und Kontext herstellt. Story hingegen reiht nur Ereignisse. Ein sehr altes Beispiel:
  • Der König starb, und dann starb die Königin. - Story
  • Der König starb, und die Königin starb dann an gebrochenem Herzen. Plot, es existieren Kontext und Kausalität.
  • Die Königin starb. Die Höflinge wußten, sie hatte den Tod des Königs nicht verwunden. - Plot, wir erfahren von den Ereignissen in umgekehrter Reihenfolge.
Für den Anfang will ich es so simpel halten, aber natürlich auch erwähnen, daß der Fokus einer Kurzgeschichte auf verschiedenen Punkten liegen kann: Charakter, Handlung, Schauplatz und Thema. Jeweils eines dieser Elemente spielt im Vordergrund, die anderen unterstützen. Sie sind aber stets alle vorhanden. 

Sie haben schon einen ungefähren Plot und einen Charakter? Sehr gut, machen Sie zwei, drei Sätze Notizen. Dann nehmen Sie Ihr Material und gehen Sie damit die nachfolgenden Schritte durch, um es arbeitsfähig zu strukturieren.

Der initiale Vorentwurf

Eine Kurzgeschichte benötigt einen engen Fokus. Mag ein Roman hunderte Jahre und ganze Kontinente umspannen mit Dutzenden wichtigen Charakteren, haben Sie hier den Platz nicht. Konzentrieren Sie sich auf einen Konflikt (d.h. auf ein bewußtes oder unbewußtes Ziel des Hauptcharakters, das er nur durch die Überwindung von Hindernissen erreichen kann), der während der Geschichte gelöst wird. Beschränken Sie sich auf ein oder zwei Charaktere und ein oder zwei Schauplätze.

Der Konflikt ist das wesentliche Element der Kurzgeschichte. Daher muß er den Leser interessieren und mit einer Überraschung aufgelöst werden. Das bedeutet nicht, daß er umfallend originell sein muß, welterschütternd oder von tiefster Bedeutung. Nein, eine der bekanntesten Kurzgeschichten ist Ernest Hemingways A Day's Wait, das im Grunde genommen nur ein banales Mißverständnis schildert. Der letzte Satz indes ("The hold over himself relaxed too, finally, and the next day it was very slack and he cried very easily at little things that were of no importance.") zeigt, daß die Auswirkungen alles andere als banal waren.

Die Handlung einer Kurzgeschichte mag trivial erscheinen, bei einer guten Kurzgeschichte sind es das Thema, der eigentliche Stoff aber nicht. Hemingways lakonischer Zweiseiter arbeitet mit den Themen des heroischen Fatalismus im Angesicht des sicher scheinenden Todes und der Fremdheit zwischen nahen Menschen, die trotz Redens nicht kommunizieren können. 
SCHREIBEN SIE AUF: Den zentralen Konflikt und seine (überraschende Auflösung). Machen Sie sich jetzt noch keine Gedanken um die Struktur, die ansteigende Spannung etc. Ignorieren Sie die tiefere Bedeutung der Themen die sich in diesem Plot offenbaren soll. Wählen Sie einen Konflikt, der Ihnen bedeutsam erscheint und den Sie schreiben wollen. Nageln Sie einfach nur diesen Konflikt punktgenau aufs Papier. Das ist schwer genug.
Vermutlich, als Schreibneuling, wird Sie hier der erste Selbstzweifel anfallen: "Was ich zu schreiben habe, das interessiert keine Sau." Das sind nicht Sie. Das ist nur der kleine Mann bzw. die kleine Frau in Ihnen, die Ihnen mal wieder ausreden will, den Kopf zu heben. Schön unten bleiben, schön konform, nicht auffallen, Du kannst sowieso nix. Treten Sie ihr/ihm bitte kräftig in den Arsch.

Aaaaaaalso: Es interessiert Sie genug, darüber schreiben zu wollen. Das ist ein Riesenschritt, das ist ein Haufen Arbeit. Das nehmen Sie auf sich, weil Ihnen der Stoff interessant erscheint. Jede Wette, da draußen sitzen einige, die finden es dann interessant genug, sich die Viertelstunde zum Lesen zu nehmen. Punkt.

Charaktere

Ob man mit der Plotplanung oder der Gestaltung des Hauptcharakters anfängt ist letztlich eine persönliche Sache. Ich fange meist mit einer vagen Vorstellung, eher einem Gefühl an, in welche Richtung der Plot gehen soll. Dann erschaffe ich den Hauptcharakter und ggf. auch schon den Antagonisten im Detail. Auf diese Weise fällt es mir leichter, den Plot zu bauen, denn wenn ich die Charaktere gut erschaffen habe, dann diktieren die mir den schon (falls Sie das nicht verstehen: Warten Sie es ab, es offenbart sich im Prozeß.)

In der Kürze der Form liegt begründet, daß der Leser nur sehr wenig von den Charakteren, auch vom Hauptcharakter erfahren wird.
  1. Aussehen
  2. Seine markanten Wesenszüge - hier gilt "Zeigen, nicht schwafeln". Sollte er ein Witzbold sein, sagen Sie das nicht, lassen Sie ihn mit einer urkomischen Bemerkung beginnen. Mehr noch als in anderen Formen gilt hier: Taten definieren einen Charakter.
  3. Seine Sprechart - Zum Dialogschreiben kommen wir noch, aber es ist wichtig, daß Dialog nicht reines Plot-Geschwafel ist. Zumindest der Hauptcharakter sollte eine unterscheidbare Stimme haben.
Viel mehr werden Sie über Ihren Protagonisten alleine aus Platzgründen nicht preisgeben können. Es würde genügen, hier einfach mit grobem Pinsel die Fakten zu setzen, die zur geplanten Geschichte  passen und gut ist. So sollten Sie das auch halten, außer für den Protagonisten. Hier ist sehr praktisch, wenn Sie wissen, warum er tut, was er tut. Hier sollten Sie einen vollen Charakter schaffen, z.B. mit einem Fragenkatalog. Das wird ihn glaubhaft machen, und das ist das Wichtigste (neben "nicht langweilen").

Plotplanung

Sie haben die Plotidee, den zentralen Konflikt, den Protagonisten. Zeit, den Plot zu planen. Wie genau Sie das machen, ist wirklich Typsache. Manche bauen einen Plan von 15 Seiten für 3 Seiten Geschichte. Andere (wie ich) fixieren überhaupt nichts schriftlich oder allenfalls einige Worte. Aber geplant werden muß die Geschichte, alleine schon, um zu wissen, wo sie hingeht. Ich will daher kurz die Struktur beleuchten.
Caveat - Ab hier gibt es kein Zurück!!! Sie werden sich nicht sagen: "Ich mach das mal, und wenn ich der Meinung bin, das wird nix, dann laß ich es wieder." Nope. Njet. Zilch. Gilt nicht. Irgendwann während der Arbeit werden Sie auf alle Fälle sagen: Das wird nix. Und mit einer Ausstiegsklausel im Kopf werden Sie dann aufhören. Das ist wieder der kleine Mann / die kleine Frau von oben. Hören Sie nicht hin - die haben keine Ahnung vom Schreiben, oder ob Ihr Zeug was taugt. Sie haben keine Ahnung im Moment, ob es was taugt. Sie werden beginnen, die Qualität einschätzen zu können, wenn Sie die zweite Fassung erstellt haben und nicht vorher.
Die Geschichte hat einen Anfang, ein Set-Up. Führen Sie den Konflikt ein, den Hauptcharakter, das Setting. Tun Sie das kurz (das war mal bekannt als "Gebot des gedrängten Anfangs"). Einem Roman verzeiht man (vielleicht) ein breites, strömendes Hineingleiten, in einer Kurzgeschichte gleicht das dem Röcheln eines Erstickenden. Knallhart, kurz, informativ. Lesen Sie ein paar Kurzgeschichten, analysieren Sie deren Anfänge.

Nehmen wir einen alleinerziehenden Lehrer mit einem Alkoholproblem. Er kann es noch vor anderen verheimlichen, aber es er weiß es, und er will trocken werden. Wie kann man in einer kurzen Szene all diese Fakten unterbringen?

Im Mittelteil der Geschichte bauen wir die Spannung auf. Wir haben den "Helden" / Hauptcharakter / Protagonisten und sein Verlangen kennengelernt. Im Mittelteil nun versucht er dieses Verlangen zu stillen. Dabei stellen sich ihm die gegenläufigen Anstrengungen des Antagonisten in den Weg. Dies können tatsächliche andere Charaktere sein, Kräfte der Natur oder auch innere Widerstände (der Antagonist des Trinker-Lehrers ist definitiv er selbst). Weitere Charaktere und Kräfte unterstützen den Helden (die gesperrte Kreditkarte, die verhindert, daß er Alkohol erwirbt), andere arbeiten gegen ihn (der Barkeeper, der seinem guten Kunden eben einen ausgibt und ausnahmsweise anschreibt, ohne es böse zu meinen).

Vor dem Höhepunkt / der  Entscheidung sollte der Protagonist beim ersten Versuch der Überwindung des zentralen Hindernisses scheitern. In unserem Beispiel erliegt der Lehrer einmal mehr seiner Trunksucht. Hier haben wir auch die Gelegenheit, den Einsatz zu erhöhen, den diesmal dekompensiert die Sucht, die er solange verborgen hat. Der Lehrer wird polizeiauffällig, verliert für drei Monate den Führerschein und jetzt auf einmal sind auch noch Sorgerecht fürs Kind und der Job bedroht.

Nach diesem Rückschlag erreichen wir den Höhepunkt. Hier wird der Konflikt entschieden. Nein, es muß nicht gut ausgehen. Aber es muß die Entscheidung fallen, zum Guten oder zum Bösen. Unser Lehrer kommt aus der Ausnüchterungszelle (also nach dem ersten Scheitern) nach Hause und findet seinen Sohn im Koma / tot / schwer verletzt. Der Junge (8 Jahre alt) hat ohne Aufsicht Reinigungsmittel getrunken / das Jagdgewehr gefunden oder sich auf andere Art und Weise schwer verletzt, die nicht passiert wäre, hatte der Trinker sich verhalten wie ein plichtbewußter Vater. Den Leser trifft das ebenso wie den Vater sehr überraschend. Hier entscheidet sich der Konflikt: Stirbt das Kind? Überlebt es? Ist das der Anlaß für den Vater, trocken zu werden oder erschießt er sich mit der Ladung im zweiten Lauf des Gewehres und wird tot neben seinem Sohn gefunden? Egal wie, hier löst sich die Geschichte auf.

(Anmerkung: Nein, die Geschichte mit dem Lehrer ist nicht sonderlich gut. Ich habe sie beim Schreiben dieses Textes nebenbei erfunden, der Lehrer hat nicht mal einen Namen. Aber sie spiegelt die Struktur und das ist gut so. Ich werde sehen, ob ich nebenbei die Zeit finde, was draus zu machen, das die weiteren Schritte illustriert.)
TUN SIE'S: Lesen Sie nochmal das "Caveat" und gehen Sie dann den Pakt mit sich selbst ein. Bauen Sie Ihre Geschichte. Definieren Sie den Anfang (Einführung, Set-Up), entwerfen Sie den Höhepunkt und wie er die Geschichte auflöst, entwerfen Sie die Ereignisse zum Höhepunkt und den ersten gescheiterten Anlauf, überlegen Sie sich einen Schluß, der alles zufriedenstellend (nicht unbedingt glücklich) zusammenpackt. Dann schreiben Sie auf Karteikarten in Stichworten die einzelnen Szenen der Handlung.
Ich gratuliere. Sie können nun Ihre Geschichte schreiben. Vor dem Wochenende kann ich Ihnen auch hoffentlich noch ein paar Tipps geben, wie man das macht und Ihren Werkzeugkasten mit der Grundausstattung versehen.

Bis dahin.

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